Samstag, 28. März 2015

Freier Wille und die Knechtschaft des Willens

Auf Seite 1209 in der Genferstudienbibel habe ich einen interessanten Gedanken gefunden:
Hier wird zwischen freien Handeln und freiem Willen unterschieden. Dazu steht:

"Freies Handeln ist ein Kennzeichen der Menschheit als solcher. Alle Menschen handeln frei in dem sinne, dass sie frei entscheiden, was sie tun werden, wobei sie das wählen, was ihnen zusagt, gemäss ihrem gewissen, ihren Neigungen und Gedanken. Sie sind im Blick auf ihre Entscheidungen Gott und dem Rest der Menschheit gegenüber verantwortlich."

Es wird beschrieben, dass in diesem Sinne Adam vor und nachher ein frei handelnder Mensch war. Auf ähnliche weise sind auch wir heutige Menschen frei handelnd. Und dies werden wir auch nach unserer Auferstehung aus den Toten sein (wenn wir uns dieser Gnade hingegeben haben, in diesem Leben hier.). Nur dann werden wir verherrlicht sein:
"Die verherrlichten Heiligen lebe nach ihrem Willen; aber sie sind in der Gnade gefestigt, und daher können sie nicht sündigen. Ihre Entscheidungen sind das Ergebnis des freien menschlichen Handelns, getroffen in Ueberenstimmung mit ihrer Wesensart, aber nun sind diese Entscheidungen gut und richtig. die Umwandlung ihrer Herzen ist vollständig vollzogen, und sie trachten danach, zu tun, was vor Gott recht ist."

Das wird cool sein.

"Der freie Wille wurde von Lehrern der Christenheit seit dem 2. Jahrhundert definiert als die Fähigkeit, in einer bestimmten Situation aus allen denkbaren moralischen Möglichkeiten auszuwählen. Augustinus lehrte, dass diese Fähigkeit durch den Sündenfall verlorengegangen sei. Dieser Verlust ist Teil der Last der Erbsünde. Seit dem Sündenfall ist unser Herz von Natur aus nicht mehr Gott zugeneigt; unsere Herzen sind an die Sünde gebunden und können aus dieser Sklaverei nur durch die Gnade der Wiedergeburt befreit werden. diese Auffassung vom freien Willen zeigt Paulus in Römer 6,16-23.

Nur ein Wille, der freigemacht wurde, ist in der Lage, freiwillig und aus ganzem Herzen die Gerechtigkeit zu wählen. Eine dauerhafte Liebe zur Gerechtigkeit, d.i. eine Hinwendung des Herzens zu dem Lebenswandel, der Gott gefällt, ist Teil der Freiheit, die christus schenkt (Johannes 8,34 - 36; Galather 5,1.13)

Hier sehen wir, dass die calvinistische Lehre des Freien Willens eng mit dem Verständnis der Wiedergeburt zusammenhängt: Nur durch die Wiedergeburt können wir frei werden. Ohne sie können wir zwar frei handeln, aber wir haben in eben definierten Sinn keinen freien Willen. Heute wird der freie Wille natürlich anders defniert und daher müsste man - wie es bereits Jonathan Edwards getan hat, vom freien Willen des Menschen sprechens, weil damit gemeint ist, dass der Mensch frei handelt. NUR zugleich muss man anführen, dass die Menschheit seit dem Sündenfall unter die Sünde versklavt ist. Damit weist sie eine gewisse Blindheit für die eigenen Sünden auf. Sünden anderer Menschen und anderer Nationen können üblicherweise besser erkannt werden (Es sei denn, man hat sein Gewissen so vernebelt, dass man Ungerechtigkeit als Gerechtigkeit erklärt.) 

Nun gibt es Christen, die glauben, sie können aus eigener Kraft sich zur Gnade Gottes hinwenden. Der Grund liegt natürlich darin, dass  sie es genau so erlebt haben: Sie haben aus innerster Ueberzeugung sich Jesus Christus als ihrem Herrn anvertraut. Sie haben Busse getan über ihre erkannten Sünden und wissen, dass Gott sie liebt, als Sünder. (Der Stolz und die Selbstliebe sucht natürlich auch dann noch nach irgendetwas in sich selber, damit Gott mich liebt. Aber dies muss auch Jesus hingelegt werden: Er liebt uns, als wir noch Sünder und Feinde Gottes waren. Und er liebt uns jetzt auch als Christen, nicht weil wir etwas Gutes tun, sondern weil er uns selbstlos liebt.) 

Zurück aber zum Bekehrungserlebnis: Man gibt sich also ganz bewusst, mit ganzem Willen Gott hin. Vielleicht geschieht dies in einem Moment, vielleicht ist es aber auch ein fortschreitender Prozess über eine längere Zeit. Aber selbst jene, die konkret den Tag sagen können, werden zugeben, dass es danach noch weiter ging. Das besondere ist nun, und ich denke da trifft der Calvnismus oder auch die anderen Reformierten, Luther, Augustinus, Jonathan Edwards, George Whitefield und wie sie alle heissen mögen, den Nagel auf den Kopf: Die eigentliche Wiedergeburt schafft Gott selber. Durch diese Befreiung wollen wir dann Wollen! Dies bringen auch folgende zwei Verse zum Ausdruck:

"Allen denen aber, die ihn aufnahmen gab er Vollmacht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen namen glauben;
die nicht aus Geblüt, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind." (Johannes 1,12+13) (2)

Hier wird klar gesagt: Wer Jesus Christus aufnimmt, bekommt die Vollmacht Gottes Kind zu werden. Es sind jene, die an Jesus Christus glauben, die zu Kindern Gottes werden.
Noch im gleichen Satz, im Vers 13 wird dann gesagt, dass dies nicht aus dem Willen des Fleisches, also nicht aus mit unseren menschlichen Möglichkeiten möglich ist. Wir können uns nicht aus eigener Kraft zu Kindern Gottes machen. Es wird noch deutlicher gesagt: Es ist eine Geburt aus Gott, die nicht aus dem Willen eines Mannes entstand. Es mögen Kinder auf diese Welt kommen, dessen Vater die Geburt nicht gewollt hat. Was er aber mit grösster Wahrscheinlichkeit wollte, war der Akt dazu. Bei Gott ist dies nicht so: Jedes Kind Gottes ist von ihm erwählt, auserwählt und gewollt!! Warum? Nicht weil dieses Kind besser wäre als andere, sondern weil er es liebt. Darum ist die Wiedergeburt ein Willensakt Gottes! Gott will!! Und darum schenkt er uns den Willen, dass wir unsere Sünden erkennen und die Barmherzigkeit Gottes für uns anerkennen wollen. 

Somit ist die Idee, dass wir uns bekehren und Gott uns dann die Wiedergeburt schenkt, für uns Christen subjektiv wahr. Die biblische Botschaft zeigt uns aber, dass Gott uns schon zuvor etwas wichtiges schenkte: die Wiedergeburt, damit wir zu Jesus kommen wollten. Das ist die objektive Wahrheit! Und damit geben wir alle Ehre Gott. Hier ist dann kein Raum mehr für die selbstbetrügerische Idee einer Selbsterlösung. Es bleibt kein Ruhm für uns. Die Ehre und der Ruhm gehört alleine Gott. UND das macht mich wirklich frei! UND auch sicher: Denn Gott selber ist der Grund für meine Errettung. Und er wird das in mir vollbrachte Werk vollenden. Ihm allein kann ich dafür danken.

Natürlich habe ich in diesem Leben meine freie Entscheidungen, meine Verantwortung nun unter dem Licht der Bibel zu tätigen. Und hier wird es nun etwas schwieriger, als vor meiner Bekehrung. Denn nun wohnt der Dreieinige Gott in mir. Mein Geist ist nun willig das Gute zu tun. Aber mein Fleisch, d.h. meine menschlichen Möglichkeiten und der alte sündhafte Mensch,  ist auch noch da. Luther meinte, er versuchte ihn zu ertränken, aber er kann schwimmen. Daher ist eben eine geistliche Kampfführung nun wichtig. Man könnte auch Heiligung sein. Es ist logisch, dass es sich hier nicht um ein sich gut machen handeln kann. Aber genau dies wird unser alter Mensch uns einreden wollen, damit er uns wieder in ein Leistungsdenken versklaven kann. Nein: In Jesus Christus habe ich alles. Da gibt es nichts mehr zu tun, Jesus hat alles getan. Dennoch bin ich verantwortlich und muss nun in meiner Freiheit in Christus bleiben. Dies beschreibt Paulus als sportlicher Wettkampf. Und zugleich musste er als - vermutlich - Choleriker (= stark willensfähig) auch zugeben, dass wenn er schwach ist, Gott stark ist. Wir sollen mit aller Kraft nach der Gnade, Barmherzigkeit und Heiligkeit streben. Aber dies beginnt nicht mit guten Werken, sondern mit dem Bleiben in Christus. Aus dieser Beziehung lernen wir uns selber immer besser kennen. Wir werden Busse über die erkannten Sünden tun und Gottes Vergebung dankbar annehmen. Dadurch bekommen wir Gott immer lieber und wir werden immer barmherziger. In dieser Haltung des Wissens um unseren Balken werden wir dann auch den Spriesser anderer ansprechen dürfen. 

Wir sind also, ob Christen oder nicht Christen, alle frei handelnde Menschen, die für ihre Entscheidungen 100 % verantwortlich sind. Wir können also sicher sein, dass unsere Tendenz die Verantwortung anderer zuzuschreiben, vor Gott nicht akzeptiert wird. Eigentlich ist dies lächerlich und zeigt eine unreife. Menschen, die Verantwortung übernehmen und um Entschuldigung bitten können, sind da viel reifer.
Wahre Christen nun, werden auch für ihre besten Werke Busse tun, weil sie wissen, dass auch in ihren besten Taten noch Sünde enthalten ist:

"Weil kein Mensch auf Erden so gerecht ist, dass er Gutes tut, ohne zu sündigen," (Prediger 7,20) 

Wer es nicht glaubt, hilft vielleicht dies:

""O Eitelkeit der Eitelkeiten! spricht der Prediger; alles ist eitel!" (Prediger 12,8)

Ich glaube Blaise Pascal sagte ebenfalls, dass alles Eitel sei. Und er, der dies sage, sage dies selber aus einer Eitelkeit heraus.

oder

"Es ist erstaunlich, das etwas, dass so offenbar ist, wie die Eitelkeit der Welt, so wenig bekannt ist, dass es befremdet und überrascht, wenn man sagt, es sei Torheit, ihre Auszeichnungen zu suchen."

"Es gibt nur zwei Arten von Menschen, die Gerechten, die sich für Sünder halten, und die Sünder, die sich für Gerechte halten."

"Wie wohl fühlt sich der Mensch, wenn er vom vergeblichen suchen des Heils im weltlichen Leben erschöpft, ermattet, seine Hände zu Gott ausstreckt."

Blaise Pascal hat als Römisch-Katholischer eine eindrückliche Wiedergeburt erlebt. Er hat es aufgeschrieben und in sein Morgenmantel genäht. Als Philosoph muss er genial sein. Sein Buch: "Denken" habe ich leider bis heute nicht gelesen. Auch als Naturwissenschaftler hat er einiges erreicht, darum messen wir den Luftdruck nach seinem Namen. Für seinen Papi erfand er die Rechenmaschine. Damit konnte der Vater als Steuereintreiber einfacher rechnen. Ich glaube heute wird er von Protestanten wie Römisch-Katholischen geschätzt. Zu seiner Zeit kamen aber, wenn es mir recht ist, einige seiner Schriften auf eine Liste, die der Pfarrer von Rom als Bücher verboten hatte. Blaise Pascal war ein Denker... (1) Und  der Heilige Geist hat ihm mit der Wiedergeburt auch einen freien Blick auf die Sünde gegeben.

Anhang
(1) laut Wickipedia wurden die "Lettre provinciales" 1660 auf dem Scheiterhaufen vom Henker verbrand.
(2) Weitere Bibelstellen zu diesem Thema:
"Jesus antwortete und sprach zu ihnen: das ist das Werk Gottes, dass ihr an den glabut, den er gesandt hat." (Johannes 6,29)

"Niemand kann zu mir kommen, es sei denn, dass ihn der Vater zieht, der mich gesandt hat; und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag." (Johannes 6,44: Darum ist unsere Fürbitte für andere so wichtig.)

"Alles, was mir der Vater gibt, wird zu mri kommen; und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstossen. (Johannes 6,37)

Interessant ist, dass heute im Vergleich zu früher ein viel schlechteres Selbstbewusstsein vorhanden ist. Vielleicht wird auch darum soviel über Selbstbewusstsein gesprochen. Auf jedenfall wird mir sehr oft gesagt, dass die Erwählung verunsichere, weil man sich fragt, ob man dazu gehören könne. Hier wird also die bedingungslose Annahme nicht direkt abgelehnt, sondern man schliesst sich davon aus. Dies könnte von einem Mangel an gesundem Selbstbewusstsein hindeuten. Oder ist es ein Mangel an Lehre, dass Jesus Sünder annimmt und was Sünde wirklich ist? Denn gerade wenn wir Sünder sind, gilt uns die Vergebung der Sünden. Es ist eine schlimme Verwirrung, wenn man sich von der Auserwählung ausschliesst. Vielmehr sollte diese Unsicherheit uns dazu antreiben, uns in die liebevolle Arme Jesu zu werfen. Denn wir können sicher sein, dass Jesus Sünder annimmt. Er hat ja dafür gelitten und ist dafür gestorben. Darum: Immer wenn eine solche "ver-rückte" Idee aufkommt, zu Jesus fliehen und daran denken, dass Jesus versprochen hat:

"Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt;" (Johannes 11,25)

Dabei dürfen wir bei aller Unsicherheit wissen: Gott ist es, der Rettet. Er ist unsere Sicherheit. Er macht es. Unsere Verantwortung ist es, auf ihn zu hoffen und zu trauen und in Christus zu bleiben. Aber selbst das, ist eine Frucht, die Gott selber wachsen lässt. Irgendwie so bringt man Gottes Allmacht und unsere Verantwortung in ein gesundes Verhältnis. Leider ist unser menschlicher Verstand zu klein, um es vollständig zu erfassen. Aber wir verstehen ja vieles nicht. Trotzdem können wir im praktischen Leben damit umgehen: Wie viele verstehen die Elektrizität nicht und können trotzdem das Licht an und ausschalten? Darum kann Jesus sagen:

"Wenn jemand seinen Willen tun will, wird er erkennen, ob diese Lehre, von Gott ist, oder ob ich aus mir selber rede. Wer aus  sich selbst redet, der sucht seine eigene Ehre; wer aber die Ehre dessen sucht, der ihn gesandt hat, der ist wahrhaftig, und keine Ungerechtigkeit ist in ihm." (Johannes 7,17-18)  

Samstag, 21. März 2015

Die evangelische Kirche schrumpft nicht, sie implodiert.

"Die evangelische Kirche schrumpft nicht, sie implodiert. Annährend 80% evangelische Christen zählte man in Hamburg des Jahres 1970, in Schleswig-Holstein waren es fast 87%. Heute sind zwischen den Meeren noch 51% der Bürger evangelisch, in Hamburg weniger als 30%, unter den Schulkindern der Hansestadt gerade noch 16%."

von ideaSpektrum, Seite 18, zitiert aus "Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (13.3.) zur Entwicklung in der Nordkirche"

Traurig...

Interessant, ein weiteres Zitat aus der linken "tageszeitung" (taz), Berlin 14.3.:

"Gegen die Zerstörung der Umwelt hilft eben manchmal nur noch Beten. Oft sind Kirchengemeinden vor allem in Afrika und Lateinamerika die ersten Akteure, die gegen Waldzerstörung, Landraub oder Staudämme protestieren."

Ein weiteres Zitat, aus dem ZDF (Zweites Deutsches Fernsehen):
"In Deutschland gab es schon im 19. Jahrhundert rund 50 Universitäten; das war der unschlagbare Vorteil der ansonsten eher nervigen Kleinstaaterei. Und weil damals an vielen protestantischen Schulen und Universitäten der Pietismus tonangebend war, der den Fleiss, die Pflicht und die Gründlichkeit hochhielt, hatte die Forschung eine ganz besondere Triebkraft. Auch deshalb gab es so viele Ingenieure, Tüftler und Erfinder, die die Welt mit ihren Erkenntnissen besser machen wollten. Aus Deutschland kamen damals entscheidende Schritte für die Medizin, die Chemie, die Biologie und bald auch für die Physik."
Der in Grossbritannien lebende australische Historiker Christopher Clark in der ZDV-Dokumentation "Die Deutschland-Saga" (15.3.)

Dies bestätigt die Aussagen von Herrn Mangalwadi aus Indien in seinem Buch: "Das Buch der Mitte". Ich habe am 7.3.15 und weiter zurück darüber geschrieben. 

1. Das Wesen der Gnade - George Whitefield Zudem: 2. Sein Leben von John Piper

Das Wesen der Gnade - George Whitefield

Eine Predigt für eine christliche Gesellschaft. Er Predigt vor Reformierten, in einem reformierten Land, nämlich Schottland. Es hören also Menschen zu die regelmässig zum Gottesdienst gehen und das Abendmahl einnehmen und getauft sind. Es sind Calvinisten. Whitefield hinterfragt in dieser Predigt ihren Glauben. Dabei hält er fest, das an die Existenz von Gott und Jesus Christus, an die Dreieinigkeit und alle rechtgläubigen Ueberzeugungen zu glauben nicht ausreicht, um wirklich Christ zu sein und in den Frieden Gottes einzugehen. Auch der Teufel ist überzeugt, dass Jesus Christus Gottes Sohn ist und zittert unter diesem Namen. (Ich hörte von einem heute lebenden Okkultisten, der dies bestätigte. Allerdings sagten die gefallenen Geister ihm nicht, dass die Herrschaft Christi in die Freiheit führt. Letztendlich wollten die Dämonen ihn weiterhin in seinem Unglück versklaven. Und klingt nicht auch bei uns dieses Misstrauen gegen Gott an, dass er es nicht wirklich gut mit uns meine? So kam die Erbsünde durch Adam auf uns und wir sind zutiefst von diesem Misstrauen geprägt. Zudem sehen wir auf dieser Welt immer wieder den Missbrauch von Macht. So haben wir Mühe zu glauben, dass die höchste Persönlichkeit der Welt, nicht so ist. Wir haben Mühe zu verstehen, dass Gott wirklich Liebe ist und sich aus dieser Liebe auch für mich demütigt, um mir Gutes zu tun. Diese Wahrheit kann sogar weh tun, weil sie unser Selbstverständnis umkehrt.)

Wir müssen wirklich glauben, dabei geht er soweit, dass er sogar sagt, wir müssen es spüren, dass wir Sünder sind. Das wir - im Massstab Gottes - nichts anderes tun, als sündigen. Wir können uns nicht selber retten. Wir können uns nicht selber gut machen - im Sinne von Gottes Massstab. Daher müssen wir zu Jesus Christus gehen und seine Vergebung erfahren.

Und sobald wir dies erfahren haben, wird unser verdorbenes Herz wieder versuchen den Werk-Bund zu erfüllen. Damit meint er, dass wir trotz erfahrener Gnade uns nun wieder selber gut machen wollen. Nachdem wir die Gnade Gottes erfahren haben, glauben wir uns anstrengen zu müssen, um uns gut zu machen, anstelle im Gnaden-Bund zu bleiben! So schlimm sind wir dran. Er nennt das die schlimmste Sünde: Unglauben. Wir vertrauen nicht wirklich Jesus Christus. Wir leben nicht im Frieden Gottes und akzeptieren Gottes Leistung nicht, sondern wir wollen selber leisten. 

Und ist es nicht wirklich schlimm: Jesus Christus stirbt einen schrecklichen Tod, damit meine Sünden vergeben sind, und ich weiss nichts besseres zu tun, als mit meinem Verhalten zu sagen: In Worten gebe ich Gott recht. Aber ich kann es schon selber. Du hättest nicht ans Kreuz gehen müssen. Das klingt oft auch sehr edel. Tatsächlich ist es ein Schlag in das Gesicht von Gott. Unser Leistungsdenken hat uns verführt. Wir sollen im Frieden Gottes bleiben, wenn wir ihn erhalten haben. Dann werden - darauf geht Whitefield zwar nicht gross ein - aber dann wird Gott in uns die guten Früchte wachsen lassen: 

"Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung." Galater 6,22 Wenn wir dies aus eigener Kraft wirken wollen, gibt es nur ein Geknorz.

Mich hat die Predigt tief berührt. Vielleicht ist es gefährlich von ihm zu behaupten, man müsse es spüren, man müsse wirklich traurig über unseren Zustand sein. Denn dies könnte uns verführen, uns auf den Grad unserer Reue festzulegen. Ich jedenfalls traue hier einfach auf Gott und weiss, dass ich nicht genügend Reue habe. Aber auch dies darf ich Jesus bringen und ich traue darauf, dass Jesus auch dafür gestorben ist. Zudem erlebe ich immer wieder Momente dieser heiligen Reue, die mir so gut tun, weil ich weiss, dass ich gleichzeitig die Vergebung des Allmächtigen habe.

Hier liest jemand diese Predigt von George Whitefield (wobei er über noch vieles andere spricht: u.a.: Die Selbstgerechtigkeit ist der letzte Götze, der ein Bekehrter überwinden muss.):

https://www.youtube.com/watch?v=87jdvug1B44

2. Ueber das Leben von George Whitefield hat John Piper auf folgender Homepage gesprochen, inkl. Manuskript:

http://www.desiringgod.org/biographies/i-will-not-be-a-velvet-mouthed-preacher

Hier kann man John Piper sogar bei seinem Vortrag ansehen:


John Piper geht darauf ein, das George Whitefield ein ausergewöhnliches Wirken hatte: Er predigte mehr, als er schlief.

Hier einige Zitate von George Whitefield:

"Alle Wahrheiten, die nicht Heiligkeit und Liebe erzeugen, sind nutzlos. Sie mögen an der Oberfläche des Verständisses schwimmen, aber sie nutzen alle nichts, wenn sie nicht das Herz verändern."

"Wenn andere davon reden und sich dessen rühmen mögen, dass in ihnen etwas gewesen sei, das sie der Errettung würdig gemacht habe, so kann ich in mir nichts anderes sehen, als dass ich gänzlich geeignet und passend bin, verdammt zu werden."


 Als ich vor Jahren einen Vortrag über George Whitfield zusammenstelle, schloss ich die Power-Point-Präsentation mit diesen Worten:


¨Liebe Freunde, leider muss ich Euch die Wahrheit sagen:
¨In mir und in Euch stecken nicht nur gute Gedanken. Hier in meinem Herzen verborgen liegt der Grund für Tod und Feindschaft, Hass und Neid, Hochmut und Lieblosigkeit.
¨Ein Philosoph sagte, wir Menschen seien Wölfe.
¨Und Jesus Christus hat versprochen, dass er uns dieses Herz ändern will.
¨Anstelle eines steinernes, will er uns ein warmes, durchblutetes Herz geben.
¨Dann sendet uns Jesus Christus wie Schafe unter Wölfe.
¨In Christus vergibt uns Gott diese Schuld, diese Sünden.
¨In Christus werden wir gereinigt und gewaschen.
¨Allein aus seiner Liebe zu uns, hat er uns dazu erwählt. Sobald wir aber aus uns selber Leben wollen, fallen wir in unseren Egoismus zurück. Denn aus eigener Kraft kommt der Wolf, dass Tier wieder zum Vorschein.
¨Weil die Menschheit gefangen ist von der Sünde, sind wir versklavt und verkauft unter die Sünde. Darum musste Jesus Christus ans Kreuz gehen, um uns davon frei zu kaufen.
¨Jesus selber vergleicht sein Opfer (s. Johannesevangelium 3,11) mit der Schlange, die damals Mose an der Stange erhöht hat. Und jeder der sie anschaute wurde gerettet.

¨«… so muss auch der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm das ewige Leben hat. (Johannes 3,14b -15)

Freitag, 20. März 2015

Machtmissbrauch: von Christen und Staaten

Ein schlimmes Thema, das von unserem Sündenfall als Menschheit zeugt.
Meine Gedanken dazu habe ich in drei Teile geteilt:

1. Allgemeine Vorgedanken
2. Missbrauch von Peter Strauch, freikirchlicher Präses) und Allianzvorsitzender Peter Strauch 
3. Jakob Künzler, wie der Appenzeller den Völkermord in der Türkei erlebt hatte
Gebet
Anhang: Zusätze vom 25.4.15: Hermann Christ und Schuldanteile der Deutschen und Schweizer, Ansätze zur Verarbeitung der Ungerechtigkeit

1. Allgemeine Vorgedanken
Vor zwei Tagen meinte jemand, dass der Stolz eine sich selbsterhaltende Eigendynamik habe. Wer es wagt ihn bei seinem Nächsten zu hinterfragen, wird - bildlich gesprochen - die Faust des Stolzes spüren, der sich um allen Umständen zu verteidigen weiss. Mich erinnert dies, an das Verhalten in einer Schamgesellschaft: Alles ist erlaubt, solange es nicht ans Licht kommt. Der Perfekte Ort für Korruption und Machtmissbrauch. Einer deckt den anderen. Die Dunkelheit, nicht das Licht ist das Prinzip. (Mit Dunkelheit denke ich hier nicht an die schützende Geborgenheit der Seelsorge oder echter Freundschaft. Auch hier ist die gesunde Mitte in der Bibel zu finden.)

Prinzipiell neigt jeder Mensch, weil er unter dem Fluch des Sündenfalls steht, zu dieser Schamgesellschafts-Haltung. Es ist ein Wunder, wenn jemand ans Licht tritt und seine Sünde vor Gott zeigen und bei Jesus Christus um Vergebung bitten kann, damit die Versöhnungstat Jesu für ihn gilt. Die Bibel spricht in diesem Zusammenhang von einer Neu-Geburt oder Wiedergeburt. Jemand der dies kann, darf wissen, dass der Heilige Geist in ihm die Augen geöffnet hat und ihn von der dumm-machenden Sünde befreit hat. Es ist, wie wenn eine abstumpfenden Decke über uns weggenommen worden wäre. Es ist so klar, wie lieb Gott zu uns ist und wie stumpfsinnig die Sünde ist. Gott hat uns eine neue Motivation ins Herz, ins innerste unseres Wesens gegeben. Wenn wir dann auf die Einladung des Dreieinige Gott ihn Herr sein zu lassen, aussprechen, dann nimmt Gott auf diese Art der Einladung Raum in einem Gläubigen, der an die Vergebung Gottes glaubt. Subjektiv bekehren wir uns. So erleben wir das, aus eigenem Willen. Wir WOLLEN es. Aus Gottes Sicht hat er uns erwählt. Er hat in uns gewirkt und gerufen. Er hat uns die Augen geöffnet und die innerste Motivation verändert, damit wir wollen zu wollen.
Dadurch wird unser Leib zum Tempel Gottes. (In diesem Zusammenhang ist es auch erstaunlich, wie in der Vergangenheit die "Alt-"Evangelischen Gesellschaften die "natürliche" Schamgesellschaft zurückdrengen konnte und den Gedanken an die Gerechtigkeit in der Gesellschaft verankerte. So stark, dass sie auch von anderen Gruppierungen, bis hin zu Atheisten übernommen wurde. Der Grund lag natürlich beim Wahrheitsbegriff der Bibel, der schon vor der Reformation und ausserhalb dieser Reformbewegung wirkte und wirkt, wenn man denn die Wahrheit zu Wort kommen lässt. Das mag im Angesicht der Kraft des Evangeliums nur ein Nebenprodukt sein, aber sie ist trotzdem für das Leben hier sehr kostbar. Und ich hoffe, Europa verliert diese Freiheit nicht. Gerade eben wurde in der EU abgestimmt, dass es ein Recht sei, ungeborene Kinder zu töten. Wie kann man einem Menschen das unbeschränkte Recht geben, ein anderes Leben zu töten? Ich verstehe, wenn eine Mutter das Kind abtreibt, wenn ihr Leben gefährdet ist. Aber die generelle Zusage, man dürfe WILLKUERLICH ein Menschenleben töten, widerspricht der Bibel zutiefst. Europa regt sich heute über die Todesstrafe auf. Auch in der Bibel gibt es Regeln für die Todesstrafe. Diese sind aber gerade nicht willkürlich. Sondern nur, wenn zwei Augenzeugen vorhanden sind - es also sicher ist - durfte sie eingesetzt werden. Zugleich beschreibt die Bibel auch den Missbrauch der Todesstrafe, indem Intrigen geschmiedet wurden. Schrecklich. Aber jeder, der sich über die Todesstrafe aufregt, müsste sich doch auch - ja noch viel mehr über eine willkürliche Tötung aufregen? Was ist eine willkürliche Tötung anderes, als ein Machtmissbrauch? ABER auch dafür ist Christus am Kreuz gestorben. Und wer es bei Jesus Christus bekennt, darf wissen, dass es WIRKLICH vergeben ist. DARUM müssen wir uns nicht in die Dunkelheit flüchten, sondern dürfen ins Licht der Wahrheit und uns befreien lassen. Damit wirklich Heilung geschehen kann und damit die Gerechtigkeit in Jesus Christus erfüllt werden kann: UND zwar auch ganz persönlich. Denn wir alle sind Sünder und es fehlt uns allen die wahre Gerechtigkeit Gottes.)

Und das schlimme ist, auch wer so Wiedergeboren wurde, ist aus sich selber immer noch in Sünder. Darum die Aufforderung in der Bibel an die Christen, wenn man sich untereinander beisst, sich wenigstens nicht aufzufressen. (Das ist natürlich ein Bild, um den schlimmen Zustand der Christen zu beschreiben.)
Luther beschreibt diesen Zustand der Christen kurz und prägnant: Gerecht und Sünder zugleich. Hier wird es schwierig und ich merke, wie ich bei diesem Thema immer wieder falsch verstanden werde. Vielleicht habe ich selber auch Mühe hier die biblische Mitte zu finden. Denn wir sind ja verantwortlich und Gott ist allmächtig. Als Mensch kann ich dies mit meinem Verstand nicht zusammenbringen. Die Bibel selber allerdings hilft, indem sie genau zeigt, wie dies zusammenspielt.
Gerade gestern meinte jemand in diesem Zusammenhang: Nachdem er sich bekehrt hat, WILL er nun nicht mehr sündigen. Er will mit aller Kraft Gott gehorchen und das Richtige tun. Wenn ich nun über die Gnade rede und erkläre, dass dies ein Geschenk ist, klingt es für ihn, als ob ich ihn mit seinem Willen Gutes zu tun, abbringen möchte. (Am 21.3.15 habe ich einen Link zu einer Predigt von George Whitefilde veröffentlicht: Hier warnt er sogar davor: d.h. wenn jemand bekehrt ist und die Gnade freudig annimmt, besteht die Gefahr, dass unser verbogenes Herz nun erst recht mit eigener Leistung das Heil erringen will. Das gefährliche dabei ist nicht, dass man es gut machen will, sondern, dass man die dahinter verborgene Sündhaftigkeit nicht erkennt und sie so nicht Gott zur Heilung übergeben kann. Die  Gefahr besteht, dass man in seinem Leistungswillen wieder in das Leistungsdenken und damit in eine Selbsterlösung fällt. Dies führt in aller Regel zu Hochmut und Unbarmherzigkeit, zur Blindheit des eigenen Balken. Die echte Gefahr besteht, dass man den Spriesser im Auge des anderen entfernen will, aber den eigenen Balken nicht sehen kann. Dabei wäre es nur ein kleiner Schritt, auch über die guten Werke Busse zu tun und damit Gott wirken zu lassen und Gott allein die Ehre zu geben, der uns beschenkt.)

Paulus spricht im Neuen Testament in einem Bild von einem Christen als Sportler, der nicht zurück sieht, sondern nach vorne schaut und seine gesamte Kraft einsetzt, um sein Ziel zu erreichen. So sollen wir der Gnade entgegeneifern, mit ganzem Willen. Dazu gehört auch: Wer stehe, de sehe zu, das er nicht falle.  Und das ist sicherlich wichtig. Vermutlich war Paulus ein Choleriker. Er hatte also einen starken Willen. Und Menschen, die einen grossen Anteil am cholerischen Charakter haben, werden mit ihrem Willen die Probleme angehen. Sie haben dies so in ihrem Leben gelernt und kamen so an ihr Ziel. Nun musste aber gerade Paulus lernen, dass wenn er schwach ist, er stark ist. Gerade bei ihm sehen wir, was ich so schwer ausdrücken kann. Es ist auch schwer zu verstehen. Darum ist die Bibel ja auch so genial: Sie zeigt uns Dinge, auf die wir nicht alleine gekommen wären. Einem Choleriker zeigt sie, dass es noch etwas mehr als einen starken Willen braucht - ohne diese Gabe des Cholerikers klein zu reden. Allerdings zeigt sie auch den Missbrauch des starken Willens auf: Menschen für seine Ziele zu missbrauchen und Unbarmherzigkeit. Darum musste Paulus in diesem Bereich ein Zerbruch erleben. Gott machte ihn schwach, damit er Barmherzigkeit und Gottes Wirken in seiner Schwachheit erleben durfte. Denn wenn wir stark sind, besteht die Gefahr, dass wir in unsere Selbstverliebtheit verfallen und aus eigener Kraft Gottes Ziele erreichen wollen. Dabei übersehen wir die sündigen Motivationen hinter unseren frommen Worten. Man könnte dies phariseisch oder Gesetzlichkeit nennen. Dies ist ein Grund, warum wir auch für unsere besten Werke Busse tun können, damit Gott sie heilig und "effizient" macht. UND dann gehört nicht mehr uns die Ehre, sondern Gott alleine. Und das ist eine solche Freude. Ich merke sie gerade jetzt, wenn ich  es schreibe: Gott alleine gehört die Ehre und dies macht mich so glücklich.

Und ich glaube auch, dass diese Haltung uns helfen wird, weniger Machtmissbrauch auszüben und damit weniger zu sündigen. Der oben beschriebene pervertierte Stolz wird dadurch überwunden, weil wir uns üben, in Christus zu bleiben. Wir werden uns eher Kritik aussetzen lassen, weil wir uns nicht mehr durch Leistung definieren. Wir können zu uns stehen und ans Licht bringen, was unrecht ist, weil wir wissen, dass uns Gott bedingungslos liebt und wir durch Misserfolg und Leitungsschwäche nicht unser Lebensfundament, unser Heil verlieren können. Gott, der mich liebt und erwählt hat, hält zu mir. Ich darf alles, was mir fehlt, von ihm geben lassen. Und auch  dass, was er mir schon im voraus gegeben hat, darf ich ihm geben, damit er es heiligt. Denn wir können nicht einmal anständig beten, so weit sind wir von Gottes Herrlichkeit und Gerechtigkeit entfernt. ABER der Heilige Geist bringt unsere Gebete zurecht. Und so sind wir frei, jederzeit in Christus zu sein und zu beten. Denn als Sünder gehen wir zu Christus. Christus spricht uns frei und damit ist der Weg frei ins Heiligtum Und das alles ist eine Wahrheit und Klarheit, die so real ist, dass wir Christen uns oft über die Komplexität nicht bewusst sind. Denn in Christus haben wir alles. Sofort - ohne etwas getan zu haben. Und aus diesem  Geliebtsein und Angenommensein, sollen wir nun leben und unseren Sinn erneuern. Das ist viel mehr, als wir aus eigener Kraft je erreichen können.
Und zugleich sehe ich, wie weit weg es ist. Aber dies liegt an dieser Zwischenzeit: Wir Christen sind noch nicht verherrlicht. Das kommt noch, wenn Jesus wiederkommen wird. So leben wir in Hoffnung. Und eine Hoffnung, die man sehen könnte, ist keine Hoffnung mehr. Denn warum sollte man auf etwas hoffen, dass schon da ist? (ca. Paulus) Und doch ist es geistlich gesehen auch da. 

2. Missbrauch von Peter Strauch
Heute habe ich im ideaSpektrum auf Seite 24 ff den Bericht über die Biografie von Peter Strauch gelesen. Er hat sechs Jahre gebraucht, um darüber schreiben zu können. Sein Vater, ein angesehener christlicher Führer, hat sexuellen Missbrauch ausgeübt. Sogar die Kinder von Peter Strauch haben darunter gelitten. An der Beerdigung seines Vaters wurde dies thematisiert. Peter Strauch ist heute froh darüber. Damals versuchte er seine Schwester davon abhalten.
Zum Thema Wahrheit schreibt er:

"Interessanterweise kann der biblische Begriff 'Wahrheit' wörtlich mit 'Nicht-Verborgenheit' übersetzt werden. Es geht dabei also auch darum, dass die Tat aus der Verborgenheit heraus ins licht Gottes kommt und damit 'sichtbar' wird. Auch für die vom Missbrauch Betroffenen ist das in der Regel eine Befreiung." (Seite 25)

Eine Tragödie. Ein legendäres Vorbild mit solchen Abgründen. Wie ist das möglich? Im ersten Abschnitt versuchte ich dies zu erklären. Sein Vater hat viel geleistet. Er hat vielen Menschen geholfen. 

"Wenn wir unsere Sünde bekennen, ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünde vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit." (Johannes 1,9). Zitiert er. "Was dagegen nicht vergeben werden kann, lesen wir in dem Vers zuvor:
'Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns." (Johannes 1,8) schreibt er.

Er versteht bis heute nicht, wie sein Vater für Gott soviel tun konnte. Wie bis heute Menschen von ihm begeistert sind: "Sie sind begeistert von seinem Einsatz, von seinen Freizeiten, von seiner Freundlichkeit, er  sei immer hilfsbereit und zuvorkommend gewesen.  War das denn alles nur vorgegaukelt? Versuchte er damit den Missbrauch zu vertuschen? War sein jahrelanger Einsatz nur ein Mittel zum Zweck? Wir kennen sein Innerstes nicht, damals nicht, als er noch lebte, und auch heute nicht im Nachhinein. Meine Geschwister und ich empfanden seine Frömmigkeit als echt und nicht aufgesetzt. Aber wie kann jemand, der so etwas tut und Kinder missbraucht, es dennoch mit seinem Glauben ernst meinen? Ich weiss es nicht." (Seite 26)

Ich denke, unter 1. finden wir eine Antwort auf diese Fragen: Wir sind in Christus gerecht gesprochen. Aber wir sind aus uns wirklich nicht besser, als Nicht-Christen. Dies wird gerne unter Christen so salopp gesagt. Aber wissen wir wirklich, was dies für uns bedeutet: Wir Christen sind prinzipiell für alles Mögliche fähig. Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis sind ein Paket, dass auch Sündenerkenntnis behinhaltet. Man denke nur an die oben erwähnte Bibelstelle Johannes 1,8 und 1,9.
Dieses Beispiel beschreibt, wie gefährlich es ist - auch für wirklich wiedergeborene Christen, wenn sie mit ihrer Sünde nicht ans Licht gehen. In der Dunkelheit mottet es nur noch mehr! Es muss ans Licht, damit Christus es heilt und vergibt. Den Opfern muss geholfen werden. Es muss etwas getan werden, dass die Ungerechtigkeit und das Ausleben der Sünde gegen andere Menschen aufhört! Wehe uns, wenn wir die Sünde so in der Dunkelheit motten lassen und andere Menschen schädigen. Erkennen wir, wie die Sünde das Leben anderer schädigt? Und wie wir unserer eigenen Seele Gewalt antun?

Die Gaben, die uns Gott geben, werden so zum Machtmissbrauch benutzt. Die Verantwortung, die uns Gott übergibt, hat IMMER Grenzen! Und das überschreiten dieser Grenze ist Machtmissbrauch. Gerade Leiter sollten daher die ihnen anvertrauten Menschen zu reife Christen heranziehen, die Nein sagen können. Ein reifer Christ hat gesunde Mauern, die ihm klar zeigen, wann Machtmissbrauch geschieht. Hirten, Leiter sind vor Gott verpflichtet, diese Mauern bei den "Schafen" aufzubauen. Machtmissbrauch ist immer das Gegenteil von Reifungsprozess. 

Als Peter Strauch vom Machtmissbrauch seines Vaters erfuhrt, wusste er zuerst nicht, ob er weiter predigen kann. Später hat er noch mehr erfahren. 

Dies beweist, dass wir noch nicht im Himmel sind. Aber es zeigt auch, dass Peter Strauch mit Gottes Hilfe in der Wahrheit Christus leben und sterben möchte. Und gerade das, lässt Gott in unserer Schwachheit und Unfähigkeit wirken lassen. Leider hat der Vater es nicht getan. Vielleicht war ihm der Ruhm und sein "Dienst" wichtiger als sein Heil? Darüber darf und muss ich nicht richten. Aber darüber sollten wir für uns selber urteilen: Lebe ich so, dass mein "Dienst" für Gott und meine Ansehen wichtiger ist, als Gott selber? Habe ich den Mut, zu meinen erkannten Sünden zu stehen und sie ans Licht zu bringen? Oder liebe ich das Unrecht und die Dunkelheit mehr als Gott und die Wahrheit?

Wenn wir die Wahrheit nicht ertragen können, so können wir auch damit zu Jesus gehen: Bei ihm wird alles gut. Gerade unser Bekenntnis bei Jesus Christus, dass wir es nicht können, öffnet die Schleusen der Gnade!!!!!! Jesus wird die Dunkelheit besiegen. Immer wieder, bis unser Körper zerfällt oder bis Jesus Christus wiederkommt und wir dann verherrlicht werden.

3. Jakob Künzler aus Hundwil (AR) und der erste moderne Völkermord (1)
Ebenfalls im ideaspetkrum vom 18.3.15 auf Seite 1,3 und ab Seite 8 wird von diesem Vater vieler Waisenkinder berichtet. Herr Paul Bernhard Rothen, evangelisch-reformierter Pfarrer hat in der Kirche von Hundwil eine Künzler-Installation, welche vom 22.2. bis am 13.12.2015 zu sehen ist. Dazu gibt es auch noch andere Anlässe, s. Seite 10 im ideaspektrum.

Im osmanischen Reich wurde die Elite mit den "neuen europäischen Werten" geprägt. Die sozialdarwinistische Vorstellung das ein Arzt nicht nur den Einzelnen, sondern auch den Volksköper heilen solle, griff um sich (Seite 9). Ich vermute, für das osmansiche Reich war es sehr schmerzhaft, als sich Griechenland und andere Teile aus ihrem Machtbereich entfernten. 
"Der Vali von Diarbekir beispielsweise, Mehmed Reshid, war zur Ueberzeugng gekommen, die Armenier seien wie Mikroben oder Tumore im türkischen Volksköper, und es sei deshalb seine ärztliche Pflicht, diese zu entfernen. Mit professionellem Eifer spürte er versteckte Armenier auf und sorgte dafür, dass auch solche, die aus Verzweiflung zum Islam übergetreten waren, nicht am Leben blieben." Zitat Seite 9 und 11.
Interessant ist, dass es sich hier nicht um islamistische Gräueltaten handelte, sondern Sozialdarwinistische, die sich mit einem religiösen und nationalistischen Ueberlegenheitsgefühl verband. Vermutlich gab es so etwas schlimmes vorher nie. Es war etwas Neues, dass sich im 20. Jahrhundert wiederholen sollte. "Von Adolf Hitler wird erzählt, er habe, als er den Befehl zu den Judenmorden gab, die zögernden Offiziere gefragt: 'Wer redet heute noch von den Armenieren? Stalin liess die Bauern aus der Ukraine deportieren und nahm in Kauf, dass Hunderttausende starben. Mao befahl das Erniedrigen und Töten der Klassenfeinde. Die roten Khmer ermordeten mehr als eine Million ihrer Volksgenossen. In Ruanda ..." (Seite 22)

Das schlimmste ist, wenn uns eine Ideologie oder eine Religion vorgaukelt, es sei gerecht, unsere Sündhaftigkeit auszuleben. Dann besteht die ernsthafte Gefahr, dass wir es tun. Das ist ein Hinweis, wie stark die Menschheit im Sündenfall gefallen ist.

Im osmanischen Reich gab es Verantwortliche, die an diesem Völkermord nicht mitmachen wollten. So wurde Herr Kadi von Urfa strafversetzt", weil er sich weigerte, die Deportationsbefehle umzusetzen."

Ein Mitarbeiter von Herr Jakob Künzler, der Moslem war, wurde verhaftet und verriet unter Folter einige Armenier nicht, die sie versteckt hatten. Dieser Held hiess Ali. (Seite 8)

Vor Ort halfen sie allen, wie sie konnten. Das Auf und Ab wird beschrieben und auch, wie am 1. Oktober 1922 Jakob Künzler die Klinik in Urfa schliessen musste. "Damit fand eine lange Arbiet mit viel Liebe, Gebet und Schweiss ihren Abschluss. War's umsonst? Der Glaube spricht: Nein!" wird Künzler zitiert (Seite 11)

"Und als, das töten von Neuem begann ,war es Jakob und Elisabeth Künzler gegeben, Tausende von armenischen Waisenkindern über die Grenze zu retten und durch die Wüste im Libanon in Sicherheit zu bringen. Schliesslich übernahm das Ehepaar Künzler die Leitung eines Waisenhauses mit 1'400 der geretteten Kinder. Jakob Künzlers Lebenswerk wurde 1947 offiziell gewürdigt. Die medizinische Fakultät der Universität Basel verlieh ihm die Würde eines Doktors der Medizin ehernhalber."
Am 15. Januar 1949 stirbt Jakob Künzler in Ghazir, Libanon. Seine Tochter liest ihm diesen Liedvers, dessen Wahrheit sich durch Jakob Künzlers Lebenswerk ausdrückt:
'Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid, damit will ich vor Gott bestehen, wenn ich zum Himmel werde eingehen." (Seite 11)

Danach fragt er: "Und ich, was hätte ich getan?"

U.a. zitiert er den jüdischen Religionsphilosoph Jakob Taubes, der über den millionenfachen Mord an Juden nachdachte:

"Was hätten wir getan - wenn  nicht die Nazis uns gar keine Wahl gelassen hätten, sodass wir nur auf der Seite der Opfer stehen konnten?"

Dazu Pfarrer Rothen:

"Abgesehen von allen äusseren religiösen, sozialen und nationalen Bindungen sind wir Menschen also stets wieder gefragt: Wer leitet uns an? Was erstreben und wollen wir? Durch die ganze Bibel zieht sich wie ein innerstes Ringen: Erregen uns Lebensgier, Neid und die Angst, zu kurz zu kommen, und darauf folgend die herzlose Gleichgültigkeit, wie es die ersten Seiten der Bibel vom Brudermörder Kain berichten?

Oder haben wir Anteil am Leid und am Leben derer, die dem Lamm das Lob singen, so wie die Bibel ausklingt (Offenbarung 7,14)?

Jakob Künzler ist zum Retter vieler Hundert Menschen geworden, zum geachteten 'Vater der armenischen Waisenkinder'. Umso glaubwürdiger ist darum auch heute noch sein Zeugnis: Das Wenige, was ein Mensch an seinem Platz machen kann, das gilt es mit offenen Augen, zupackenden Händen und einem unerschrockenen Herzen zu tun. Von der staunenswert starken und glaubensgewissen Persönlichkeit Jakob Künzler können wir lernen, die Realitäten dieser Welt nüchtern zur Kenntnis zu nehmen und uns doch liebevoll engagiert in unseren alltäglichen Aufgaben zu bewähren."

Man könnte sicher auch hinzufügen, dass an seinem Platz, also auf uns bezogen: unser Platz, wo uns Gott hingestellt hat, sollen wir jene Werke tun, die Gott im Voraus vorbereitet hat, damit die Ehre alleine Gott gehört. Denn dann können wir dieses Lob dem Lamm singen: Offenbarung 7,9-17.

"9 Nach diesem sah ich, und siehe, eine grosse Volksmenge, die niemand zählen konnte, aus ALLEN Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem lamm, bekleidet mit weissen Kleidern, und Palmzweige in ihren Händen.
10 Und sie riefen mit lauter Stimme und sprachen: Das Heil ist bei unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und bei dem Lamm!
11 Und alle Engel standen rings um den Thron und um die Aeltesten und die vier lebendigen Wesen und fielen vor dem Thron auf ihr Angesicht und beteten Gott an
12 und sprachen: Amen! Lob und Herrlichkeit und Weisheit und Dank und Ehre und Macht und Stärke gebührt unserem Gott in alle Ewigkeit! Amen.
13 Und einer von den Aeltesten ergriff das Wort und sprach zu mir: Wer sind diese, die mit weissen Kleidern bekleidet sind, und woher sind sie gekommen?
14 Und ich sprach zu ihm: Herr, du weisst es!
Und er sprach zu mir: Das sind die, welche aus der grossen Drangsal kommen; und sie haben ihre Kleider gewaschen, und sie haben ihre Kleider weiss gemacht in dem Blut des Lammes.
15 Darum sind sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel; und der auf dem Thron sitzt, wird sein Zelt aufschlagen über ihnen.
16 Und sie werden nicht mehr hungern und nicht mehr dürsten; auch wird sie die Sonne nicht treffen noch irgend eine Hitze;
17 denn das Lamm, das inmitten des Thrones ist, wird sie weiden und sie leiten zu lebendigen Wasserquellen, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen."

Was für eschatologische Aussagen! (zum Thema Eschatologie, die Lehre der letzten Dinge habe ich auf http://www.filmund.blogspot.ch/ einiges geschrieben. Ausgehend vom Film "Left Behind", der eine dispensionalistisches Modell vertritt, erklärte ich die verschiedenen biblischen Endzeitmodelle. Man merkt, dass auch in die eben beschriebene Problematik die Lehre einer guten Eschatologie hilft, richtig damit umzugehen. Der Völkermord an den Armeniern war sicherlich ein Art "Trübsal". Und ich frage mich, ob nicht generell auch die Unzulänglichkeit von uns Christen eine Art Trübsal ist...  (1)

Gebet:

Lieber Heiland, heile uns. Hilfe uns, dann ist uns geholfen. Rette uns vom Bösen dieser Welt und von uns selber!

Vergib uns, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!

Denn Dein ist dir Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit!

Danke.

Amen

Anhang
(1) Im Kirchenboten vom April 2012 auf Seite 3 (www.kirchenbote-online.ch) wird ebenfalls auf dieses Thema eingegangen. Hier wird auf folgendes Buch hingewiesen: Emanuel La Roche: 'Doctor, sieh mich an!' Der Basler Arzt Hermann Christ auf medizinischer Mission in der Osttürkei (1898 - 190), Chronos Verlag 2013.
Ich zitiere aus dem Kirchenboten. 
"1915 ereignete sich ein Genozid an den Armeniern in Anatolien. Doch bereits Jahre zuvor wurden etwa hunderttausend Armenier umgebracht. Unzählige Waisen blieben zurück. Der Basler Arzt Hermann Christ und sein Pfleger Jakob Künzler kümmerten sich im türkischen Urfa um Kinder  und Opfer."
Danach wird über einen verschlüsselten Brief berichtet, denn im Osmanischen Reich herrschte die Zensur. So wurde der Begriff "Armenierpraxis" im Brief geschwärzt: "Zwar schwärzte der Zensor die Passagen mit dem Begriff 'Armenierpraxis', tat dies aber so schludrig, dass die Adressaten den Text entsclüsseln konnten." Danach geht der Bericht weiter:
"Künzler erlebte nicht nur die Todesmärsche der Verfolgten, sondern im Oktober 19155 auch das Ende der ortsansässigen Armenier, die sich nach bewaffnetem Widerstand der türkischen Armee auslieferten und entweder auf der Stelle umgebracht oder in den Tod geschickt wurden. Vierzehn Tage lang mussten Alte, Frauen und Kinder auf ihren Abtransport warten, und während ihr Hab und Gut bereits versteigert war, töteten zahlreiche Mütter aus Verzweiflung ihre Kleinkinder.

Auf dem Weg ins Nichts

Und immer noch, bis in den Juni 1916 hinein, durchquerten unzählige Elendszüge die Stadt auf dem Weg ins Nichts: ..."
"... Allein im Winter 1915/16 betreute er über zweitausend Patienten, ..." Ich verzichte auf weitere Details. Es wird noch auf Progrome von 1894 bis 1896 hingewiesen.
"Angestossen und getragen von den protestantischen Landeskirchen erhob sich hierzulande eiene gewaltige Protestwelle, die in einer Petition an den Bundesrat kulminierte, der beim Sultan gegen die Verfolgung der christlichen Brüder und Schwestern inervenieren sollte. Begüterte Basler Bürger - dem 'Daig' galt christlich-humanitäres Wirken als Pflicht - beschlossen, über eine deutsche Organisation Hilfe für die überlebenden Armenier in urfa zu leisten, und schickten den jungen Basler Arzt hermann Christ nach Obermesopotamien, um dort den Ueberlebenden medizinisch beizustehen. Parallel dazu richtete die deutsche Hilfsorganisation in Urfa ein Waisenhaus für 250 bis 300 armenische Kinder ein, obendrein eine Teppichweberei, um Witwen wenigstens ein kleines auskommen zu ermöglichen."

"Bezahlt wurden sowohl der 'Herr Doktor' - wie ihn Künzler lebenslang zu nennen pflegte - als auch der Assistent vom begüterten Vater Christs. In dessen persönlichem Basler Umfeld waren einige Personen bereit, das kleine 'Schweizer Spital' in Urfa aus christlich motivierter Nächstenliebe bis zu seinem ende 1922 finanziell über Wasser zu halten." 

Auch im Factum 3 2015 wird ab Seite 18 auf das Leiden im Osmanischen Reich eingegangen. Dabei wird auf ein Buch von Rosemarie Stresemann eingegangen: "Bündnis des Todes II - Deutschlands Bündnisse mit dem Osmanischen Reich und der Völkermord an den Armeniern" hingewiesen. In diesem Buch wird eine gewisse Mitschuld der Deutschen Führung an diesem Genozid erwähnt. Aus diesem Bericht möchte ich folgendes zitieren (was mir selber gar nicht gefällt):
"Wie der Schweier Historiker Hans-Lukas Kiefer aufdecken und nachweisen konnte, ist die jungtürkische Bewegung weitgehend aus einem Kreis osmanischer Studenten in Genf und Lausanne hervorgegangen. Dort wurde auch ein Vorläufer ihres später für die Christen der Türkei so verhängnisvollen 'Komitees für Einheit und Fortschritt? (Ittihat ve Teraki Cemiyeti) gegründet. Die Vorleibe für Prof. Pittard fand dann bei Kemal Atatürk ihre Fortsetzung. Der 'Vater' der modernen Türkei war selbst aus dem Jungtürkentum hervorgegangen und blieb dessen Rassismus verhaftet. Das alles ist nachzulesen bei: Hans-Lukas Kieser, 'Vorkämpfer der 'neuen Türkei'. Revolutionäre Bildungseliten am Genfersee (1870 - 1939)', Chronos Verlag, Zürich, 2005." Danach wird auch auf Jakob Künzler (1871 - 1949) eingegangen.
In Genf gab es also einen Anthropologen Eugène Pittard (1867 - 1962) der ein verhängnisvolles Werk: "Les rasses et l'Histoire" (Die Rassen und die Geschichte) geschrieben hat, die zu diesem Grauen beitrugen. Dies beweist, dass es nicht unerheblich ist, was wir denken und schreiben. Es besteht immer die Möglichkeit, das unsere Gedanken auch umgesetzt werden.
Bis zu diesem Text habe ich das nicht gewusst. 
In diesem Text wird auch auf Frau Karen Jeppe aus Dänemark hingewiesen, die als Missionarin sich mit Christen Jakob Künzler positiv einsetzte. Auch Deutsche waren unter den Kritikern dieses Grauen. So hat der Berliner Missionnar Johannes Lepsius (1858 - 1926) historisch belegt, dass es eine Schuld des Deutschen Kaiserreiches und der österreichischen Verbündeten gibt. Rosemarie Stresemann beschreibt dazu in dem oben erwähnten Buch, "dass es ausgerechent ein 'Dschihad-Plan' des kaiserlichen Deutschlands war, der den türkischen Hass gegen die Christen im eigenen Land schürte, bis er sich blutig gegen die Armenier sowie Aramäer und Griechen wandte. Dass die christliche Bevölkerung unter der prodeutschen islamischen Herrschaft nach Russland und Frankreich orientiert war, das war Deutschland ein Dorn im Auge. Die Autorin weist darauf hin, dass der deutsche Diplomat Max von Oppenheim zu Beginn des Ersten Weltkriegs für Wilhelm II. ein Dschihad-Konzept unter dem Titel 'Die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde' entwickelt. Dieser Plan wurde vom Kaiser im Oktober 1914 angenommen und in die Tat umgesetzt: Bald danach rotteten die Türken - und mit ihnen Kurden - die ersten anatolischen Christen aus.
So wurde der politische konstrurierte islamistische Dschihad gegen die Armenier geboren - mit Schützhenhilfe aus Deutschland. Stresemann kommt daher zu dem Schluss: 'Deutschland trägt hier eine unbereinigte Schuld, die in ihren Auswirkungen sich in der Hitlerzeit noch verstärkte und bis heute wirksam ist."
Auch davon wusste ich nichts. Der Protestantische Kaiser... Was für eine moralische Kapitulation. Situationsethik und mangelndes Vertrauen in das Gute. (Was wohl bereits beim Schleifenplan auch ersichtlich ist. Dabei hätte Deutschland ohne dieses Unrecht, d.h. der Ueberfall auf Belgien, den Eintritt von England (vermutlich) abhalten können. Der U-Bootkrieg wäre nicht nötig gewesen und damit wäre nicht die USA als Gegner aufgescheucht worden, was zuletzt die Achsenmächte verlieren liess. Anfang 1918 sah dass noch ganz anders aus.) Ich war vor nicht so langer Zeit im Berliner Dom, wo dieser Kaiser Wilhelm II ein protziges Denkmal errichtet hat. Calvin würde sich im Grabe umdrehen, wenn er seine Statue dort sehen würde und all der Pomp. Ich verstand es irgendwie noch, was sie ausdrucken wollten. Es hat auch etwas schönes. Und erst, wie Luther vor dem Kaiser abgebildet wurde. Cool. Es war interessant zu sehen, wie in diesem Berliner Dom das Zusammenlegen der lutherischen und calvinistischen sich auswirkte. Allerdings ging der Calvinismus mit seiner Bescheidenheit unter all dem Reichtum unter. So musste ein Touristenführer anhand von Bildern zeigen, wie schlicht normalerweise reformierte Kirchen sind.
Aber diese "Realpolitik" mit dem osmanischen Reich lässt dies als pure Heuchelei erscheinen? Vermutlich war das im Berliner Dom dargestellte eine ehrliche Ueberzeugung. Zugleich aber war der Glaube auch relativiert worden, und so wurde ein gesunder Nationalismus (= Identität, soziales Zusammenstehen mit gleichzeitiger vollwertiger Akzeptanz von andersartigen Nationen) zu einem pervertierten Nationalgefühl, der die Eigeninteressen überbetonten. Nahm dieser Nationalismus schon die Stelle Gottes ein? Ich denke, es war noch nicht ganz so weit. Das sollte erst dreissig Jahre später geschehen. Viel eher war es eine Ueberschätzung der menschlichen Möglichkeit. Eine Selbstverliebtheit. Die sich durch den Erfolg mit dem Satz äusserte: "Am Deutschen Wesen wird die Welt genesen." Und sie hatten wirklich grandioses geleistet. Daher war wohl dieser Hochmut so gefährlich. Das war aber alles ein Problem zu jener Zeit, dass nicht nur die Deutschen hatten. Zudem stolperten Deutsche Leiter über ein anderes sehr bekanntes Problem von uns Menschen: Die Versuchung mit Unrecht eine Abkürzung zu gehen. Diese klassische Versuchung des Teufels suggeriert uns, dass das Böse doch nicht so schlimm sei. Der Nutzen "heile" den Schaden. Bei der Versuchung von Jesus sieht man, wie geschickt der Teufel dabei vorgeht. Die Versuchung kann so verlockend sein. Sie kann sich als der vermeintlich beste Weg anbieten. Oder als der einzig gangbare Weg (Was aber nie stimmt. Wenn man sich hinsetzen würde, und ruhig nachdenken und vielleicht beten, fände man einen viel besseren und gerechtere Möglichkeit.). Dabei hält das Böse sein Versprechen nur für einen kurzen Moment. Dieser Moment ist so hohl, dass es nach mehr verlangt und einem dadurch süchtig macht. 

Auf der einen Seite tut es gut zu hören, das geholfen wurde. Gleichzeitig ist es niederschlagend, zu realisieren, zu welchen Taten wir Menschen fähig sind. Ein Calvinist sprach den Trost aus, dass kein Mensch so schlecht ist, wie er sein könnte (Ich glaub, ich lies dies im Buch "Die Lehren der Gnade, eine Erklärung und Verteidigung der fünf Punkte des Calvinismus" von James Montgomery Boice und Philipp Graham Ryken)

Dabei müssen wir aufpassen, dass uns die tiefe Betroffenheit über die Sünde der Menschen nicht selber unsere Sündhaftigkeit ausufern lässt. Damit meine ich, dass man sich so über den Sünder empört und dabei die eigene Fähigkeit zur Sünde vergisst. Ja sich gerade am Grauen der einen für viel besser hält. Die Bibel warnt eindrücklich über unsere Fähigkeiten zu sündigen, da wir seit dem Sündenfall das Gute pervertieren. Daher ist es so schwierig, dem Unrecht ins Auge zu schauen, ohne selber auf die eine oder andere Art zu sündigen. Die Wut über die Ungerechtigkeit ist dabei nicht das Problem. Ganz im Gegenteil: Gott selber wird wütend über zugeführtes Unrecht. ABER bei Gott ist es immer ein heiliger Zorn. Bei uns Menschen schwingt auch unsere Sünde mit. (s. Epheser 4,26-27) Und allzu oft verwechseln wir unseren Zorn mit einem Heiligen Zorn. Das Problem ist also nicht, dass wir tief betroffen werden oder dass wir über Unrecht wütend werden, sondern dass wir diese Emotionen gebrauchen, um von unseren eigenen Sünden abzulenken. Dabei wird daraus gerade wieder Ungerechtigkeit geboren, indem wir unverhältnismässig reagieren. (Was eine verhältnismässige Reaktion wäre, komme ich noch kurz darauf.) Auch hier gilt, wie für alles andere gilt, seien es gute oder schlechte Taten: Busse tun und es Gott hinlegen. Dann kann Gott aus unserem Unvollkommenen etwas Gutes machen. Die Wut über Ungerechtigkeit müssen wir also auch Gott hinlegen.
Die verhältnismässige Reaktion auf Unrecht ist ein weites Thema. Zur Zeit kann ich selber noch keine abschliessende Antwort darauf geben. Sicherlich kommt es auf die jeweilige Situation darauf an. Ganz bestimmt ist es ein Unterschied ob man selber als Opfer betroffen ist oder ob man als Drittperson davon erfährt. Die Basler und Appenzeller zu jener Zeit geben ein Beispiel für eine verhältnismässige Reaktion als Drittpersonen.
Als Opfer ist sicherlich wichtig, dass man sich selber eine Zeit der Trauer gewährt und die verschiedenen Phasen durchlebt und sich genügend Zeit lässt. Dazu gehört auch, den Schmerz, das erlittene Unrecht beim Namen zu nennen und es nicht zu verdrängen. Oder es als nicht so schlimm abzutun (was bei einer solchen Tragödie wohl kaum jemand in den Sinn kommen wird). Dazu gehört auch die aufkommende Wut ernst zu nehmen: Denn es ist wirklich Unrecht geschehen. Auch Gott tut das weh. Auch Gott ist darüber wütend.
Wichtig ist dann auch Heilung zu erfahren. Die Bibel empfiehlt die Rache Gott zu überlassen und nicht Böses mit Bösem zu vergelten, sondern die Feinde zu lieben (s. weiter unten). Es ist bemerkenswert wie Paulus diese alttestamentliche Bibelstellen im Römerbrief benutzt. Er verkleinert in keiner Weise das angetane Unrecht. Er empfiehlt aber, die Rache Gott zu überlassen. Ich könnte mir vorstellen, dass dies als ein weiterer Schritt in diesen Phasen der Trauer hilfreich sein wird.
Vielleicht wird Gott sogar die Kraft geben, dass man den Tätern vergeben kann. Für die eigene Psyche kann dies sehr befreiend wirken. Denn mit dem NACHTRAGEN der Schuld, verbindet man sich auch mit dem Täter. Mit dem Vergeben löst man sich von ihm und Befreiung kann geschehen. Das erkennen auch nicht-christliche Berater!
Ich weiss, ich schreibe hier über schwere Dinge. Jesus spricht sogar davon, dass mit Verfolgung zu rechnen sei, wenn man seinem Weg folgt. Wir sollen die Feinde liebe. Denn das eigentliche Problem ist ein geistliches. Irgendwie sind die Täter selber Opfer, die in ihrer Blindheit sich von ihrer Sünde mitreissen liessen. Dabei betrügt sie ihr eigenes Herz und sie können nicht sehen, was sie da tun oder taten. Gerade letzthin lass ich im Alten Testament, dass die Bösen sich in ihrem Unrecht bestätigt fühlen, weil Gott nicht immer sofort straffend einschreitet. Dabei sollte man dies als Gnade begreifen, damit der Täter zur Vernunft kommt und mit dem Unrecht aufhört und Busse darüber tut.

Ein wichtiger Lösungsansatz ist immer auch die Wahrheit und das eingestehen der eigenen Verantwortung. Dabei ist es wichtig, dass man weiss, dass man die schlimmsten Taten bei Gott vergeben lassen kann. Wenn man dies nicht kann, wird das Unterbewusstsein sich vehement sträuben, eigene Schuld zuzugestehen. Schon bei mir als Christen ist es schwierig, Schuld einzugestehen. Mich zu entschuldigen. Dabei weiss ich doch, wie gerne mir Gott vergibt. Ja, dass Jesus Christus, Gottes Sohn, also Gott selber für meine Schuld bezahlt hat. Denn wir sind so tief in die Sünde gefallen - damals beim Sündenfalls von Adam - dass wir von Gott geliebt werden wollen, weil irgendetwas an uns so Gut ist, dass uns Gott lieben MUSS. Aber Gott liebt mich, obwohl ich nichts bringen kann, was seiner Heiligkeit genügen würde. Gott selber muss mich heiligen und das tat er, indem er selber am Kreuz für meine Unheiligkeit starb. Nun kann ich immer zu Jesus und die Realität gestehen. Dadurch habe ich in Christus immer Zugang zur Heiligkeit Gottes, zum Tempel des lebendigen Gottes, dem Herrn und Schöpfer dieser Welt. Und das  nicht aus mir, sondern als ein Geschenk von Gott selber.
In dieser Gnade lässt es sich gut beten und mit Gott reden. Ich weiss zwar, dass ich nicht würdig bin und meine Gebete nicht die entsprechende Heiligkeit Gottes ausweisen, ABER der Heilige Geist, Gott selber tritt für mich ein, dass sie heilig werden. (s. weiter unten die entspr. Bibelstelle)

Denn ich mag mein Bestes geben. Aber das reicht nicht. Seit dem Sündenfall von Adam können wir es nicht mehr: Wirklich im absoluten Sinne Gutes tun. Daher schuf Gott eine andere Lösung. Wir müssen ihm vertrauen: Jesus Christus. Daher ist es sehr wichtig, alles von Gott zu erwarten. Hier liegt der Schlüssel zur Ueberwindung des Bösen: Er liegt bei Gott selber. Indem wir Gott vertrauen und nicht uns selber, kann Gott aus unserer Unvollkommenheit etwas machen. Das ist gleichzeitig auch eine riesige Befreiung. Ich darf wie ich bin zu Jesus gehen. Noch mehr: Ich kann eigentlich nur als Sünder kommen. Denn dann gilt mir seine Vergebung.
Dieses Fundament gibt die Kraft, um umzukehren. Verantwortung zu übernehmen und die wirklichen Probleme anzugehen. Die Realität der Sünde wird so je länger man mit Gott lebt klarer werden. Gleichzeitig wird auch das Wissen um die Gnade und Barmherzigkeit Gottes zunehmen. In diesem Prozess wird Vergebung möglich. In diesem Prozess liegt wahre Freiheit.

Ich hoffe, diese Bibelstellen sprechen Mut zu:

"Denn auf Hoffnung hin sind wir errettet worden. Eine Hoffnung aber, die man sieht, ist keine Hoffnung; denn warum hofft auch jemand auf das, was er sieht? Wenn wir aber auf das Hoffen, was wir nicht sehen, so erwarten wir es mit Ausharren.
Ebenso kommt aber auch der Geist unseren Schwachheiten zu Hilfe. Den nwir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt; aber der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern.
Der aber die Herzen erforscht, weiss, was der Sinn des Geistes ist; denn er tritt für die Heiligen so ein, wie es Gott angemessen ist.
Wir wissen aber, dass denen, die Gott leiben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach dem Vorsatz berufen sind. Denn die er zuvor ersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Ebenbild seines Sohnes gleichgestaltet zu werden, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern.
Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen, die er aber berufen hat, die hat er auch gerechtfertigt, die er aber gerechtfertigt hat, die hat er auch verherrlicht. Was wollen wir nun hiezu sagen? Ist Gott für uns, wer mag gegen uns sein?
Er, der sogar seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern ihn für uns alle dahingegeben hat, wie sollte er uns mit ihm nicht auch alles schenken?" (Römerbrief 8,24-32)

und

"Vergeltet niemand Böses mit Bösem! seid auf das bedacht, was in den Augen aller Menschen gut ist.
Ist es möglich, soviel an euch liegt, so haltet mit allen Menschen Frieden.
Rächt euch nicht selbst, Geliebte, sondern gebt Raum dem Zorn (Gottes); denn es steht geschrieben: 'Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.'. Wenn nun deinen Feind hungert, so speise ihn; dürstet ihn, so tränke ihn! Wenn du das tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse durch das Gute! (Römerbrief 12, 17-21)


Sonntag, 8. März 2015

Rerformierter Gottesdienst im Frauenmünster mit Marc Chagall-Fenstern: Himmelsreiter und Bildersturm

Heute habe ich einen interessanten Gottesdienst im Schweizer Fernsehen, SRF 1 gesehen. Ein klassischer reformierter Gottesdienst im Frauenmünster in Zürich, Schweiz. Nach dem Gottesdienst werden dem Pfarrer Niklaus Peter interessante Fragen gestellt (Nachgefragt mit Christine Stark): Wie passen Bildersturm und die Fenster von March Chagall zusammen? Wie ist es möglich, dass Zwingli auch die Orgel entfernen liess und nun doch wieder eine Orgel im Gottesdienst benutzt wird? Pfarrer Niklaus Peter erklärt, wie der musikalische Zwingli dieses "Musik-Fasten", wie ich es nennen würde, einführte.

Wie passt dies zusammen? Wie konnte Zwingli, der Reformator von Zürich, der alle Barok-Instrumente spielen konnte, zu einer solchen Meinung kommen. Der Pfarrer erklärt es kurz und bündig. Auch die Geschichte, wie die Kirche zu diesen schönen Chagall-Fenstern kam ist interessant. Eigentlich gab es verschiedene Projekte und ein Wettbewerb - noch ohne Chagall. Doch man konnte sich nicht einigen. Einige werden wohl denken, eine hierarchischere Meinungsfindung hätte eine solche Patt-Situation verhindert. Aber wie so oft bringt das Streben nach Einheit in der Vielfalt die genialere Lösung. Denn in dieser Patt-Situation kommt der damalige Pfarrer Bilder von Chagall zu sehen. Damit wird eine Geschichte angestossen, die aus dem Patt zu den Chagall-Fenstern führen wird. Das Problem war dann nur noch, wie man das finanzieren konnte...

Auf einem Chagall-Fenster wird u.a. die Jakobs-Leiter abgebildet. Der Gottesdienst selber geht ebenfalls auf dieses Geschehen ein. 

Der Gottesdienst und das anschliessende Interview ist hier zu sehen.
http://www.srf.ch/sendungen/gottesdienst

Der Gottesdienst ist nüchtern reformiert und doch verbindet er Kunst und Predigt: Die Musik und die Chagall-Fenster werden in der Predigt zu einem Lob Gottes und Reichtum verbunden. Und das alles in einer gewachsenen historischen Form. 

Danke Herr, dass ich so etwas sehen durfte.

Anhang:
Aus dem Tagblatt vom 4.11.08 (Internet) habe ich jenen Bericht über den Pfarrer Niklaus Peter gelesen. Sehr interessant:

Wort Gottes, nicht «Wohlfühlkirche»

Der Zürcher Fraumünster-Pfarrer Niklaus Peter fordert die Kirchen zur Rückkehr zum biblischen «Grundwortschatz» auf. Denn: Wer die Zeitgeist-Sprache rede, werde «Ideologie-anfällig».

DANIEL KLINGENBERG 
st. gallen. Sind die Kirchen in einem Formtief? Und falls dem so ist: Kann sie aus eigener Kraft etwas dagegen tun? Beide Fragen beantwortete Niklaus Peter, Fraumünster-Pfarrer in Zürich und Karl-Barth-Kenner, am Sonntag in St. Laurenzen bei der Reformationsfeier mit ja. Allerdings nicht mit pauschaler Zustimmung, sondern in vielschichtigen Zugängen, die Theologiegeschichtliches mit Aktuellem verbanden.

«Deformation» zur Homestory

Niklaus Peter, der als Reformationsfeier-Redner nach St. Gallen eingeladen war, sieht das Christentum weltweit keineswegs in der Defensive. In Asien, Afrika und Amerika ist es vital und teilweise schnellwachsend. Auch in der modernen westeuropäischen Gesellschaft ist man «religiös offen». Aber hier führe die Loslösung von den Kirchen und die Individualisierung zu einer «ausgefransten, konturlosen, sozial unstrukturierten Religion». Oder zu einem «religiösen Analphabetismus».
Dass dem so ist, liegt gemäss dem Fraumünster-Pfarrer auch an den Kirchen und ihrem Personal. Wer nämlich ein «Wohlfühlchristentum» verkünde, das von nichts Tiefgreifenderem als der eigenen Erfahrung und seinen Gefühlen spreche, habe den Wortschatz der Bibel mit ihrem radikalen (sozialen) Kern aufgegeben.
Beleg einer solchen «Homestory-Kirche» ist für Peter zum Beispiel eine Reportage über Weihnachtsgottesdienste in einer deutschen Zeitung. Mit harmlosen, kindlichen, fast schon blasphemischen «Wohlfühlsätzen» würden Pfarrpersonen Weihnachten als eine Art «Börsengewinn» betrachten, heisst es darin.
Niklaus Peter begründete seine Diagnose mit einem Stück Theologiegeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, das er brillant und packend vortrug. Mit der Grundaussage: Wird der Skandal, dass der Versöhner und Friedensbringer hingerichtet wird, im Zeitgeist «weichgespült» und sentimentalisiert, verliert die Kirche ihre Kraft. Zudem wird sie anfällig gegenüber Ideologien, wie ihre Geschichte im 2. Weltkrieg zeigt.

Es braucht Spracharbeit

Gerne hätte man mehr gewusst darüber, wie eine Rückkehr zum «biblischen Grundwortschatz» aussehen könnte. Immerhin: Ein Teil solcher theologischer Arbeit war in St. Laurenzen zu hören.