Freitag, 28. Februar 2014

Die Oekonomie von Gut und Böse


Ein Buch, das ich schon seit einigen Monaten einmal lesen wollte.

Ein Freund sah den Autor an einem Vortrag in Basel und war beeindruckt. 

Tomas Sedlacek ist ein tschechischer Oekonom. Er hat an der Karls-Universität Prag 2001 promoviert. 2001 war er ökonomischer Berater des damaligen tschechischen Präsidenten Vàclav Havel.

2003 erhielt er ein Stipendium an der Yale University in den USA. Nach seiner Rückkehr aus den USA ist er Chef-Volkswirt bei der CSOB AG, der grössten tschechischen Bank. 2009 wurde er Mitglied des Nationalen Wirtschaftrats, der den tschechischen Regierungschef berät. Daneben lehrt er noch an der Karls-Universität Prag Wirtschaftsgeschichte und -philosophie und arbeitet als Kolumnist. (aus einer Einladung zu einer Leitungskonferenz in der Schweiz im Magazin Idea Spekturm).

Der Autor ist eine Person, die etwas von Oekonomie versteht. Und er sagt in einem Interview im Kirchenborten vom März 2014:

"... heute (nach der Krise) sind wir viel bescheidener geworden ...."

"Die Art, wie wir Wirtschaft vermitteln, ist schlimmer als der Katholizismus im Mittelalter. Wir lehren ein dogmatisches Glaubenssystem."

Zu diesem Glaubenssystem gehöre das Dogma: WIR MUESSEN WACHSEN, sonst fallen wir in eine Depression.

Dann zeigt er auf, dass man Griechenland diese Krankheit diagnostizierte. "Und die übrigen Europäer erklärten, die Griechen und die anderen Südländer seien faul. Sie müssten härter arbeiten, sich stärker an die ökonomischen Modelle halten und mehr Steuern bezahlen. Dann hätten sie keine finanziellen Schwierigkeiten. 

Wenn man die Finanzkrise in Europa betrachtet, so stösst man bald einmal auf Irland und Island.die nicht im Süden liegen. Was sollte man diesen raten? Dass ihre Banker nur noch halb so viel arbeiten und sich  weniger auf die wirtschaftlichen Modelle verlassen sollten? Das irische Problem ist ein manisches Problem. Viele Leute sagen, die Wirtschaft ist depressiv. ich denke, das ist eine falsche Diagnose, und wenn die Diagnose falsch ist, dann ist vermutlich auch die Behandlung falsch. Die Wirtschaft ist manisch-depressiv. Bis 2007 waren die USA noch auf einem Wachstumskurs. Die Produktivität war hoch, die Arbeitslosigkeit war tief. Nichts zeichnete sich ab. Dann kam der Kollaps. Die Wirtschaft ist voll gegen die Wand gerannt.."

Dann bejaht er die Frage, ob das Manisch-Depressive ein Ausdruck unserer Zeit sei. Er schlägt vor, das Gebot eines Ruhetages in der Woche wieder ernst zu nehmen: "Wir Menschen haben die Tendenz, uns zu überarbeiten. Deshalb entstand dieses Gebot." 

Am Schluss dieses Interviews hinterfragt er den Glauben an das wirtschaftliche Wachsen müssen.

"Was uns zurückgeworfen hat, ist unsere Sehnsucht nach permanentem Wachstum. Es gibt kein einziges Land, das bankrott ging, weil es kein Wachstum gab. Es gibt auch keine einzige Firma, die Konkurs geht, weil sie nicht wächst. Staaten, Firmen und Menschen gehen bankrott, weil sie Schulden machen. Und Schulden haben wir gemacht, weil wir schneller wachsen wollten.

Wenn ich eine Schuld von 10'000 Franken aufnehme, hat nur ein Narr das Gefühl, dass er 10'000 Franken mehr besitzt. 

Wenn ein Unternehmen oder eine Regierung genau dies tut, und 3 Prozent mehr aufnimmt und die Wirtschaft wächst, haben alle das Gefühl, sie seien 3 Prozent reicher. Für dieses künstliche Wachstum haben wir mit einer Verschuldung bezahlt, die noch die nächste Generation betreffen wird."

Ueber den Erfolg seines Buches war er völlig überrascht:

"Es war ursprünglich eine Dissertation. Daraus verfasste ich ein Buch und dachte, dass es vielleicht 2000 Leute lesen, die sich für Oekonomie, Theologie und Psychologie interessieren. Ein Teil des Erfolgs ist wohl, dass ich nicht versucht habe, einen Erfolg daraus zu machen. Und das Timing stimmte."

D.A. Carson Wie Paulus die Bibel gebraucht: Die Lehre von der Genügsamkeit der Schrift.





Wie las Paulus das alte Testament vor seiner Bekehrung und nach seiner Bekehrung? Wie veränderte sich seine Hermeneutik? Diese fragt stellt Carson.

Um die Haltung von Paulus nach seiner Bekehrung zu beschreiben benutzt er die Aussagen von Paulus im Galaterbrief. Vor seiner Bekehrung dachte wohl Paulus, dass er durch das Ausrichten auf das Gesetz Gott gefallen wird. Nun geht Carsons auch auf die Puritaner und John Wesley’s Predigten ein und hinterfragt, ob sie das entsprechende Kapitel im Galaterbrief richtig verstanden haben.

Sie lehrten, dass man zuerst erkennen müsse, wie schuldig man sei, um die Gnade zu erkennen. Sie predigten also das Gesetz. Wenn dann jemand nach einer Lösung verlangte, predigten sie das Evangelium. Es scheint eigentlich logisch: Die Gnade Gottes wird um so grösser, wie grösser unser Verschulden ist (1). Carson denkt, dass Weley recht hatte und doch nicht recht hatte: Das ist interessant!

Was für uns wichtig ist: Paulus las das alte Testament in seinem historischen Zusammenhang. Wenn er allegorisch auslegte, legte er keinen anderen Sinn in den Text hinein. Wohl hat Paulus nach seiner Bekehrung ein anderes Auge für das alte Testament bekommen. Er kann nun das Alte Testament nicht nur mit dem Raster des Gesetztes, sondern in seiner aufbauenden Entwicklung durch die Geschichte der Menschheit mit Gott verstehen. Von ihm können wir lernen, wie die ersten Christen das Alte Testament gelesen haben. Und auch das ist sehr interessant.

Anhang:
(1)    Wer das Alte Testament nicht kennt, neigt dazu, nur eine oberflächliche Sündenerkenntnis zu haben und daher auch nur eine oberflächliche Kenntnis der Gnade. So wird die Gnade zu einer billigen Gnade, wie es Bonhoeffer einmal sagte (dies zitiert Carson nicht).
Carson denkt, hier liegt ein Grund, für eine oberflächliche Evangelisation, welche nicht zu einer tiefgehenden Dankbarkeit gegenüber Gottes Liebe und Gnade führt.
Diese Bekehrten sind dadurch oft auch nicht auf die Schwierigkeiten des Lebens als Christen vorbereitet.
Seit längerem bewegt mich dies. Denn je mehr unsere Gesellschaft die jüdisch-christlichen Wurzeln verlieren, müssen wir die ganze Bibel vermitteln, damit der Zusammenhang verstanden wird. Wie sollten die Menschen sonst verstehen, dass der Glaube kein religiöser Selbstbedienungsladen ist, sondern wirkliches Beziehungsleben?
Ein Beispiel zum Thema Gebet: Unsere Gebete werden als Christen wirklich erhört. Aber nicht so, wie wir meinen es sei gut, sondern so wie es wirklich gut für uns ist. Und das kann manchmal für uns schwer sein. Besonders wenn Gott uns im Charakter wachsen lassen will, kann dies uns weh tun. Am Schluss werden wir uns darüber freuen. Aber in der Situation kann es sein, dass es gar nicht lustig ist. Und trotzdem liebt und Gott und will das Beste für uns geben UND gibt das Beste für uns.

D.A. Carson - Nur zwei Lebensoptionen? (Just Two Ways to Live?)

 

D.A. Carson: Einmal nicht nur auf englisch, sondern sogar auf Deutsch übersetzt: Cool.
Er legt seine Gedanken zum Psalm 1 aus. Dabei geht er auch auf Hiob ein.

Letzte Woche kamen wir in unserem Hauskreis am Donnerstag durch ein Lied, dass Psalm 1 vertont: "Wohl dem der nicht wandelt..." ebenfalls auf dieses Thema. Dabei meinte jemand, dass töne ihm sehr gesetzlich. Jemand anderes und auch ich waren der Meinung, dass dies nicht so gemeint sei, schliesslich ist man ja nur aus Gnade ein Gerechter. (Rechtfertigung allein aus Gnaden.)

Interessant ist nun, dass Carson genau dieses Empfinden aufnimmt, dass der Psalm 1 etwas selbstgerechtes, ja überhebliches enthalte! (Ich bin natürlich immer noch davon überzeugt, dass wir durch das Geschenk Gottes uns als Gerecht bezeichnen können, nicht weil wir aus uns gerecht machen könnten. So wie es im NT und im AT bezeugt wird, ist es ein reines Geschenk und kann nie ein Grund für Ueberheblickeit sein. Christen werden nur überheblich, wenn sie die Gnade nicht richtig verstanden haben. Denn die Gnade ist wohl die grösste Demütigung für unser Leistungsdenken. Dass ist wohl auch der grösste Anstoss, der Jesus uns Menschen gibt: Sich einfach ohne Leistung lieben zu lassen, beleidigt unseren Stolz. Denn wir wollen geliebt werden, weil irgend etwas in uns gut ist und nicht einfach bedingungslos. Auf der anderen Seite sucht ja jeder genau diese bedingungslose Liebe, dieses bedingungslose Angenommensein, dass uns erfüllt, Ruhe gibt und uns ins Shalom bringt.) 

Carson zeigt eine Spannung zwischen dem Gerecht sein auf und uns Mensch, wie wir es nicht  erreichen können. Es ist eigentlich auch die Heiligkeit Gottes und unserer Mangel an allem. Erst im Kreuz von Jesus Christus trifft sich dies.

Ich finde es herrlich, Carson zu erleben, wie lebendig er referiert. Und ich finde es ganz toll, dass er in Europa predigte. John Piper war ebenfalls an diesem Anlass. Interessanterweise war er vorher in Osteuropa und in Genf! Leider wusste ich das nicht. Das wäre interessant gewesen, ihn live zu sehen....



Freitag, 21. Februar 2014

Lukas und die Apostelgeschichte (und Gedanken zu Indianer und Kavalleristen)



Lukas und die Apostelgeschichte (und Gedanken zu Indianer und Kavalleristen)

Gestern hatten wir einen wunderbaren Hauskreis. 

Wir haben erlebt, wie die Gaben des einen durch die Gaben des anderen ergänzt wurden. Es war für mich ein so schönes Erlebnis. Dafür möchte ich meinem Gott danken:
„Vielen Dank Herr.“

Als wir nach einem Lied, Gebet und Austausch zum Thema kamen, liess ich von Youtoub ein Ausschnitt zum Thema Lukas-Evangelium laufen (zu finden unter dem Titel „Lukas: Ein Evangelist zum anfassen“.) Professor Hermann Josef Venetz, Freiburg spricht, vermutlich in einem Obwaldner Dialekt mit Herrn Rolf Maienfisch, Murten und der Moderation Rita Püro Spengler, Brugbühl über das Lukas-Evangelium und Lukas. Um das Dialekt verstehen zu können, muss man die Ohren etwas spitzen. Im Grossen und Ganzen ist es eine tolle Einleitung. Ich bin begeistert, das Römisch-Katholische sich so intensiv mit dem Markus-Evangelium befassen und nun das Lukas-Evangelium ebenso intensiv lesen. Dabei kam mir der Gedanke, dass es dann ja nicht so schlimm ist, wenn wir Reformierten uns in Nebensächlichkeiten verlieren und uns langsam auflösen. Im gleichen Moment, wo ich dies schreibe, tut mir dieser Gedanke auch weh. Es wäre schön, es gäbe wieder diesen Geist des Bibellesen auch bei uns Reformierten. Natürlich gibt es den vereinzelt auch. Aber leider ist es eine Ausnahme. Zum Glück gibt es auch grosse Ausnahmen. Aber es wäre schöner, das es keine Ausnahme, sondern die Regel wäre. 

Dann würde ich mir weniger Sorgen um unsere Zukunft machen.
Heue ist es ja so, dass in der Schweiz die Katholiken öfters die Bibel lesen als wir Reformierten. Und ich bin nicht mal so sicher, ob in jeder evangelischen Freikirche so intensiv die Bibel gelesen wird, wie in diesen Gruppen zu denen dieser Youtoube-Beitrag gehört.

Nun, wir haben in unserem Hauskreis für die nächsten Donnerstag-Hauskreisabend das „Projekt“ gestartet, die Apostelgeschichte zu lesen. Hierzu habe ich gestern am ersten Abend dieser Reihe noch eine Power-Point-Präsentation über Lukas und die Apostelgeschichte gezeigt. Dabei ging ich auch ein wenig auf die meiner Meinung nach unnötigen Zweifel der Bibelkritik ein (Man zweifelt zum Beispiel erst seit dem 19. Jahrhundert die Verfasserschaft von Lukas an der Apostelgeschichte an. Aber dies scheint mir, mit anderen Theologen nicht sehr schlüssig.) Auf jedenfall ist dieser Lukas, eine interessante Person: Er war kein Jude, sondern ein Heide. (Seit der Zeit des Bundes Gottes mit Israel bezeichnet die Bibel alle Nichtjuden als  Heiden. Das ist nicht generell abwertend, da es auch gottesfürchtige Heiden gab und gibt.) Er war Arzt und hoch gebildet.

Im Gegensatz zu Johannes, der mit nur 900 Worten das Johannes-Evangelium schrieb, benützt Lukas eine detaillierte Sprache. Gerade die ersten Verse sollen klassisches Griechisch darstellen. (Das ganze Neue Testament ist in Koine Griechisch, des damaligen Umgangs-Griechisch. So wie wir heute Schweizerdeutsch reden, redete man damals ich gesamten römischen Reich Griechisch: Alles was mit Kultur, Handel und Leben zu tun hatte. Die offizielle Sprache der Administration war damals das Latein der Römer. So wurde Latein wie bei uns Schriftdeutsch verwendet: Für offizielle Papiere usw.

Lukas beginnt also mit eine klassischen Griechisch. Danach wird er wieder einfacher. Da ist das Johannes-Evangelium ganz anders. Seine Genialität ist mit einfachen Worten tiefe Wahrheiten weiterzugeben. Dabei kann sich Johannes auch gerne wiederholen, um auf eine andere Art, nochmals das gleiche zu sagen. Lukas geht da ganz anders vor. Er ist eher der Wissenschaftler, der einen spannender und unterhaltender Bericht über die Geschehnisse geschrieben hat, wobei er seine Gelehrsamkeit nicht verleugnet. Dabei ist er, um Professor Hermann zu zitieren, nicht moralisierend, sondern spannend erzählend. Er geht ins Details und wird doch nie zu lange, sondern schafft mit den detaillierten Beschreibungen den Raum, wo wir das Geschehen miterleben. Die Apostelgeschichte ist die interessante Fortsetzungsgeschichte des Lukas-Evangelium. Im ersten Kapitel, dass wir ebenfalls gestern gelesen haben und dann später noch in einem Film angesehen haben (s. „Apostel-Geschichte, die Bibel Live“ vom Hänssler DVD, Bestel-Nr. 710.015), sieht man den auferstandenen Jesus, wie er sich von seine Jüngern verabschiedet und in den Himmel auffährt. Und da stehen sie nun. Sie können wohl noch kaum fassen, was da geschehen ist. Zwei Männer in weiss, es werden wohl Engel gewesen sein, stehen plötzlich unter ihnen und sagen prägnant:

„Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr hier und seht zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist, wird in der selben Weise wieder kommen, wie ihr ihn habt in den Himmel auffahren sehen.“ (Apg 1,11)

Dieser Vers fasste am Abend jemand so zusammen: In einem Vers, ja in einem Satzteil wird soviel gesagt. Und das erste Kapitel geht noch weiter. Das Kennzeichen dieser ersten Gemeinschaft nach der Himmelfahrt Jesu war: Gemeinschaft.

„Diese alle blieben beständig und einmütig im Gebet und Flehen zusammen mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu und mit seinen Brüdern.“ (Apg 1,14)

Möge uns Gott auch geschwisterliche Gemeinschaft geben. Indem wir uns mit unsere Schwächen durch die Stärken der anderen ergänzen und nicht nur an uns reiben. Diese erste Gemeinschaft musste warten. Sie beteten. Ja, sie flehten. Vermutlich flehten sie, weil sie das alles, was um sie und mit ihnen geschah noch nicht verstehen konnten. Sie hatten Orientierungsschwierigkeiten: Wie weiter? Jesus war noch nicht da. Der Heilige Geist war noch nicht in seiner ganzen Fülle ausgegossen. Da machten sie das einzig richtige: Sie warteten auf Gottes Handeln (Gut, sie warteten nicht nur, sondern wählten noch einen Ersatz-Apostel für Judas, den Verräter. Dies ist ebenfalls noch im ersten Kapitel beschrieben. Die Frage besteht, ob das Sinn gemacht hat. Auf jedenfall hört man von  diesem neu gewählten Matthias in der Bibel nichts mehr. Diese Wahl kann man als Beispiel nehmen, wie man Leiter in einer Gemeinschaft, Gemeinde, Kirche wählt. Calvin benützt jedenfalls dies in seiner Institutio, indem er die Meinung äussert, man sollte im Idealfall durch die Gemeinde zwei Personen zur Auswahl auswählen, damit sie auch eine Wahl haben. Bei Thimoty Keller, einem Pfarrer einer presbyterianischen Kirche in New York, habe ich von einer genialen Umsetzung dieses Gedanken gelesen, dass man durchaus übernehmen könnte: Jedes Gemeindemitglied kann über Internet einen Diakon oder eine Diakonin vorschlagen. Jährlich werden dann diese zur Wahl aufgestellt. Wie sie es mit den Aeltesten handhaben, habe ich nicht gesehen. Aber ich war erstaunt, als ich neben einer beinahe unzähligen Schar von Diakonen und Diakoninnen, sicherlich 50 Aelteste sah. Das muss eine ganz besonders fähige Leiterschaft sein, dass sie sich unter so vielen einigen können. Es wäre interessant, dass genauer zu betrachten (s. unter www.redeemer.com. Gerade eben fand ich diese Internet-Seiten nicht mehr. Vermutlich haben sie ihre Homepage wieder anders gestaltet. Diese reformierte Kirche ist so etwa von dynamisch, da wäre es schön, wir würden etwas von ihr lernen. Uebrigens auch von der anglikanischen Landeskirche und den Freikirchen in England, wo diese fruchtbar zusammenarbeiten. Das führt auch dazu, dass die Anglikanische Kirche wieder wächst und neue Gemeinden gründet. Auch wenn in der Schweiz die Idee herrscht, dass Landes- und Freikirche irgend einen Qualitätsunterschied mache, bin ich da ganz anderer Meinung: Es kommt darauf an, wie man diese Kirchenformen füllt. Es ist nur ein Unterschied in der Form. Zudem erhalten Landeskirchen staatliche Subventionen in Form von Steuergeldern. In den USA gibt es diese Unterscheidung nicht. Dort sind eigentlich alles Freikirchen. Dort wählt man sich eine Kirche aus, die einem gefällt, wobei konfessionelle Unterschiede weniger wichtig sind, als bei uns. Das liegt vermutlich auch an der Art der Amerikaner, lösungsorientiert zu sein, während wir Europäer eher komplexer Denken, vielleicht sogar uns eher in weniger wichtigen Details verlieren, während wir das Wesentliche vor lauter weniger Wesentlichem nicht sehen. Vielleicht haben wir darum manchmal den Eindruck, die Amerikaner seien etwas ignorant, weil sie sich gar nicht gewohnt sind, so kompliziert wie wir zu denken. Ich selber halte viel von Geschichte und Geschichtsbewusstsein. Gerade in der evangelikalen Szene in der Schweiz habe ich manchmal den Eindruck, dass man alles neu erfinden möchte, anstelle, dass man aus der Geschichte profitieren würde. Seit 2000 Jahren versucht man Kirche zu leben und manches falsch und manches richtig gemacht. Würde man aus der Geschichte schöpfen, könnte man wie bei einem Budget für ein Geschäft, bereits im Voraus abschätzen, was zu was führen wird. Man darf allerdings die Geschichte nicht ideologisch seinem Wunschdenken anbiegen…

Wer Freude am Neuen Lernen hat, wird wohl weniger in diese Falle tappen. Ich denke auch, dass in der Schweiz, obwohl wir Mitten in Eurpa sind, eine sehr grosse Vielfallt herrscht. Diese Vielfallt erklärt wohl auch die hohe Innovation. Zugleich werden wir aber auch von Europa nicht so gut verstanden. Alleine die letzte Volksabstimmung zeigte dies. Oder wenn ein deutscher Politiker, der vor nicht so langer Zeit in der BRD Kanzler werden wollte, zu unseren Bundesräten (Das ist unsere Bundesregierung. In Frankreich und USA wäre das vielleicht mit dem Präsidenten zu vergleichen.), als Indianer bezeichnet und er die Kavallerie senden will, um "Ordnung" zu schaffen, sagt dies genügend aus. 

Ich muss sagen, ich habe eben ein Buch über Chief Josef, einem Indianerhäuptling, gelesen. Wickipedia nennt ihn eine Art indianischer Napoleon. Dieser Indianer war kein Dikdator, sondern ein gewählter Leiter, der die wichtigen Entscheidungen in einem Concil vorlegte und wo dann die eigentliche Entscheidung gefällt wurde. Chief Josef, der jüngere und seine Fähigkeit als Stratege war so genial, dass sie an Napoleon erinnerte. Wenn wir mit solchen Indianern verglichen werden, ist das eigentlich keine Beleidung. Da hat der deutsche SPD-Politiker wohl die direkte Demokratie richtig verstanden und seine eigene Ablehnung dageben geäussert? Man müsste ihn fragen. Auf jedenfall fände ich es genial, so frei wie ein Indianer leben zu können. Frei seine Meinung äussern zu können und am politischen Werdegang aktiv mitzuwirken. Nicht nur die Regierung zu wählen, sondern auch an den Entscheiden mit meiner Stimme teilzunehmen. Dazu gehört auch, dass der Häuptling oder die Leiter sich nach dem Volksentscheid richten. Unser letzter General Guisan in der Schweiz wurde ebenfalls gewählt. Nachdem der 2. Weltkrieg vorbei war, trat der General zurück in die Reihe. Er war wieder ein „normaler“ Bürger und benutzte dabei genau die gleichen Worte, wie sie in diesem Buch für die Häuptlinge der Nez-Percé benutzt werden, wenn sie abgewählt wurden oder ihr Auftrag erfüllt war. 

Vielleicht sind wir Schweizer ein wenig wie Indianer? In diesem Sinne bin ich das auch gerne. Ich denke es ist auch eine gesunde Regierungsform, die direkte Demokratie, wenn man sich an den guten Massstäben Gottes ausrichtet. Ansonsten besteht die Gefahr, dass ein Mehrheitsdiktat entsteht. Zu einer gesunden Demokratie gehört immer auch eine Achtung vor der Meinung eines anderen. Wenn die andere Meinung, die man ablehnt, nicht mehr mit Argumenten angegangen wird, sondern einfach mit der moralischen Keule, dann wird es gefährlich. Meinungsdiktatur und politische Diktatur folgen sehr rasch. In Sache Demokratie hat die Schweiz eine lange Tradition. Darum können sich wohl auch so viele unterschiedliche Nationen in der Schweiz niederlassen: Ca. 25%, d.h. jeder vierte ist hier ein Ausländer. Viele der Zugezogene liessen sich auch einbürgern. Andere sind hier geboren und liessen sich nicht einbürgern. Die Schweiz fühlt sich eigentlich nicht als Einwanderungsland und doch ist sie eines. Als ich noch zur Schule ging, gab es ca. 6 Mio. Einwohner in der Schweiz, nun sind es 8 Mio. - und das bei einer kleinen Geburtenrate.

Ein deutscher Manager, der eine grosse schweizer Unternehmung leitet, stellte einmal erstaunt fest, dass in der Schweiz der Kompromiss ein eigener Wert darstellt. Aber wie anders hätte ein Land mit 26 Kantonen (= Staaten), mit zwei grossen Konfessionen, vier Landessprachen, unterschiedlichem Geschichtsverständnis zusammenleben können? Gerade die reformierte Theologie schütze – auch die Römisch-Katholischen Gegenden – vor dem Hierarchiegedanken der Neuzeit in lateinisch geprägten Länder. So konnte das alte, mittelalterliche Genossenschaftswesen, in der Schweiz sehr gut überleben. Neben den zahllosen kleinen Genossenschaften gehören auch grosse Firmen wie die Migros und der Coop zu den Genossenschaften. Und die Schweiz selber bezeichnet sich als schweizerische Eid-Genossenschaft. Auch in diesem Sinne ähneln wir also den Indianern. Nur haben wir im Gegensatz zu den Indianer hin und wieder auch Talsperren gebaut und unsere Grenzen verriegelt. Allerdings wollten wir immer Handel treiben, weil wir mit unserem rohstoffarmen Land ja gar nicht anders überleben können. Und es gab immer ein Austausch über verschiedene Kulturen hinweg, in und ausserhalb der Schweiz. Und eigentlich wirken wir ja normalerweise auch sehr entgegenkommend. Das liegt sicherlich an unserer Kompromissbereitschaft und auch an unserem Willen, uns an eine andere Kultur anzupassen. Denn es herrscht ja bei uns das Prinzip, dass die Kultur am Ort nicht verletzt wird. D.h. ich als Reformierter werde in einer katholischen Ortschaft nicht an einem für sie heiligen Tag öffentlich arbeiten. Ich nehme Rücksicht auf ihre Gefühle. Oder wenn ich im Tessin bin, der mediterranen Schweiz, verstehe ich, dass es den Tessiner nicht so gefällt, dass soviel schweizerdeutsche Dialekte gesprochen werden, anstelle ihrem Italienisch usw. Ich verstehe ein wenig ihren Unmut. Dieses Verständnis ist wichitg und ist vielleicht in grösseren Ländern oder Kulturen, die sich besser fühlen, weniger verbreitet? 
Aber sicherlich können wir dann auch eher wieder eigenwillig wirken. Vorallem für Menschen, die gerne ihren Willen durchzwingen, anstelle gemeinsam den Weg zu beschreiten.

Vielleicht ist es sogar dieser Kontrast: Nachgiebig und dann auf einmal nicht mehr nachgiebig, das verwirrt. Wir haben weniger stark wie hierarchische Länder gelernt, dass der Mächtige immer Recht hat. (Das wäre auch nicht biblisch.) Wir müssen nicht erst Politiker fragen, was sie denken, um zu wissen was wir denken. Und dennoch ordnen wir uns stark ein, d.h. wir haben auch ein Gruppenverhalten. Und dann doch wieder ein grosses Streben nach Individualität. Ich kann es selber nicht richtig fassen. Und sicherlich gibt es hier starke Unterschiede von Mensch zu Mensch.

Leider nahm das jüdisch-christliche Element in unserer Gesellschaft ab. Mögen wir während der Reformationszeit einen starken Gegensatz zwischen reformiert und katholisch gehabt haben und im 19. Jahrhundert einen starken Gegensatz zwischen Radikalliberalen und Konservativen, so waren doch wichtige Elemente dieser jüdisch-christlichen Kultur selbst dem radikalsten Liberalen noch wichtig, wenn er auch zum Materialismus neigte… Wer gar General Dufour von jener Zeit studiert, findet einen sehr besonnen Mann, der das Trennende verbindet. Ja sogar im Krieg gegen den römisch-katholischen Sonderbond, dem letzten Bürgerkrieg in der Schweiz, gibt er Befehl, für die Artellerie keine zu zerstörrerische Muniton zu verwenden. Schliesslich kämpft man gegen Brüder und er möchte so wenig wie möglich Blut vergissen. Bei der Revolution in Genf hält er als Soldat den Rat der Stadt vor Gewalt zurück. Leider halten sich die Rebellen, die Radikal-Liberalen, nicht an diese Gewaltlosigkeit. Später wird der Dufour sogar von einem aufgebrachten Mopp in Genf zusammengeschlagen. Dabei verdankten sie ihm viel in dieser Auseinandersetzung.Später wird Dufour Mitbegründer des roten Kreuzes.

Wäre die Schweiz nur katholisch, so wäre Niklaus von der Flüh der Nationalheilige. Ich selber, als Reformierter, bin von ihm beeindruckt. Als Hauptmann (wenn man will als Häuptling) im Krieg betet er auch für seine Feinde. Enttäuscht über die Realität der christlichen Gesellschaft wird er ein Einsiedler und legt alle Macht als angesehener Bauer, Richter und freier Bürger seines Standes (Kantons) nieder und lebt von Nichts in einer Hüte in den Bergen. Von hier beeinflusst er aber das Weltgeschehen, durch Gebet und Seelsorge. Aus ganz Europa pilgern Menschen zu ihm. Unter anderem verhindert er in der Schweiz einen Bürgerkrieg zwischen Land- und Stadtkantone.

Diese zwei Personen verkörpern ein wenig jene Schweiz, die auch etwas ironisch im Asterix-Band "Die Helvetier" erzählt wird. Da werden die Römer zusammengeschlagen, um sie dann wieder zu verarzten. Dies ist auf lustige Weise eine Darstellung einer christlichen Haltung: Wir sind Sünder und verletzen uns und  den Nächsten. Aber Gott vergibt und nach Auseinandersetzungen versöhnt man sich wieder, indem man auch die Blessuren der Feinde heilt. Was kann mehr von einer gefallenen Welt mehr erwarten?

Nun schwinden diese jüdisch-chrisliche Wete und ich hoffe, dass dies nicht zu mehr Eigennutz führen wird und so unser Land gefährdet. Denn die Schweiz kann nicht ohne vernünftiger Kompromiss und Verständnis für den Andersdenkenden überleben. Sie würde sich in Stücke zerreissen – und zwar in tausend kleine Stücke. Meine Hoffnung ist, dass die neue heidnische Gesellschaft nicht alle jüdisch-christlichen Wert über Bord wirft. Denn es gibt auch ethnisch sehr hochstehende heidnische Gesellschaften. Bereits Zwingli, der Reformator von Zürich, nahm vor 500 Jahren an einer edlen heidnisches Gesellschaft ein Beispiel, indem er uns (damals noch christlichen) Eidgenossen mahnte, wir sollen uns als Christen ein Beispiel an jenen Heiden nehmen, die uneigennützig handeln. Hoffen wir, dass diese Haltung trotz schwindendem Christentum herübergerettet werden kann. 

Dazu gehört auch, dass wir unterschiedliche Meinungen mit Argumenten abwägen. Dass wir versuchen den anderen zu verstehen. Sobald wir aber eine andere Meinung nicht mehr mit Argumenten angehen, sondern einfach als unmoralisch disqualifizieren, wird es gefährlich. Denn wir brauchen keinen religiösen Fanatismus, um fanatisch zu werden. Das geht auch in einer Ideologie. Und ich fürchte, dass unsere westliche Gesellschaft sich dieser Gefahr öffnet. Zudem gilt der Grundsatz, dass man die Fehler anderer viel besser erkennt, als die eigenen Gefahren. Das macht es so schwer. Es hilft aber, wenn wir uns dessen bewusst werden.

Uebrigends schlussendlich wurden die Nez-Percé von einem Offizier besiegt. Gerade dieser Offizier, der später General wurde, liess mehrmals Chief Josef bei ihm übernachten und unterstützte ihn, damit er mit dem Präsidenten der USA und vor dem Kongress reden konnte. Und dieser Indianer konnte gut reden. Er musste ja auch schon vorher in seinem Volk mit Worte überzeugen können.
Auf diese Art wurde es ganz praktisch möglich, dass unterschiedliche Welten miteinander reden konnten. Es kam in diesem Fall nicht so gut für die Indianer heraus. Der Häuptling war enttäuscht, weil viel geredet, aber wenig danach gehandelt wurde. Was mich aber besonders erstaunte, war, dass eine Rede von Chief Josef in Washington sehr viel von den Idealen der USA beinhaltete! Freiheit, Gleichheit, Rechtssicherheit. Ist das eine Ironie der Geschichte? Oder kann es sein, wenn wir miteinander Reden, dass sich bei manchem anscheinenden Widersacher dennoch sehr viele ähnliche, ja sogar gleiche Ziele finden? Wie auch immer: Wenn wir lernen miteinander zu reden, dann kann es geschehen, dass

Indianer und Kavalleristen miteinander reden können. Und das ist schon viel besser, als wenn man sich gegenseitig Tot schiesst.